Im Bann der Lilie (Complete Edition)
an die Seite des Marquis. Ergeben kniete er vor ihm und küsste ergriffen seine Hand.
„Ich danke Euch von Herzen für Eure Großmut. Allein, mir fehlen die Worte.“
Die schwarzen Augen des Jungen glänzten feucht. Der Schein der vielen Kerzen verlieh seinem Teint einen fast goldenen Schimmer. Der Marquis strich ihm zärtlich über die Wange. Seine Finger waren kühl wie ein Windhauch. Dieses Kind hatte keine Ahnung, welch einen Preis sein Angebot forderte.
„Ich danke Euch, mein junger Freund. Und nun geht und berichtet Eurer Mutter. Ich selbst will die rechtlichen Dinge morgen mit meinem Advokaten besprechen.“
Marcel eilte aus dem Speisesaal, rannte die Treppe hinauf, verlief sich einmal sogar in den Gängen, bevor er sein Zimmer wieder fand und sich überglücklich auf sein weich gepolstertes Bett fallen ließ. Sein Herz schien in der Brust zerspringen zu wollen. Am liebsten wäre er wie ein kleiner Junge darauf herum gehüpft, doch das ziemte sich nicht für das Mündel eines Marquis! Über das ganze Gesicht strahlend setzte er sich an den zierlichen, weiß lackierten Sekretär, kramte Feder und Tinte hervor und begann auf dem mit einem Wappen versehen Bogen aus handgeschöpftem Papier, welcher vor ihm lag, einen langen, ausführlichen Brief an seine Mutter Alina. Die Feder flog wie eine kleine Schwalbe über das Papier und hinterließ kunstvolle Buchstaben, so wie es sein Vater ihm beigebracht hatte. Schon bald benötigte er einen weiteren Bogen und erst nachdem auch dieser voll geschrieben war, ergriff er das Petschaft. Über einer Kerze löste er den roten Siegellack und ließ ihn wie Blutstropfen auf das Pergament tropfen, dass er zu einem Umschlag gefaltet hatte und morgen schon einem Boten mitgeben werden würde. Er könnte nicht ahnen, welch ein böses Omen dieses rote Zeichen für ihn werden sollte. Zum ersten Mal in seinem jungen Leben fühlte Marcel Saint-Jacques sich wie ein Adeliger. Hätte er nur geahnt, dass seine missgünstige Halbschwester seine Nachricht abfangen würde, bevor diese in die Hände seiner Mutter gelangte, so hätte er sich auf wenige Zeilen beschränkt und nur sein Wohlergehen mitgeteilt.
Aber so erfuhr Elise wenige Wochen später von dem Glück, dass ihrem verhassten Halbbruder zuteil werden sollte. Die Comtesse tobte vor Wut. Sogar ihre Dienerin wollte dieser Marquis ihr abspenstig machen! Die Geliebte ihres Vaters, die ein solches Leid über sie gebracht hatte, sollte nun für den Rest ihres Lebens Saus und Braus leben? Niemals! Ein solch gütiges Schicksal gönnte sie weder ihr noch ihrem Mischling! Das wollte sie auf jeden Fall verhindern. Rastlos lief sie durch ihre Gemächer, zerbrach sich den Kopf, wie sie Marcels Glück verhindern konnte. Voller Zorn warf sie eine der kostbaren, handbemalten Porzellanstatuetten an die Wand. Doch das war ihr nicht genug. Auch der Spiegel ihres Boudoirs fiel ihrem Jähzorn zum Opfer. Dann hielt sie plötzlich in ihrem Wüten inne. Die Apotheke ihres Vaters war ihr in den Sinn gekommen. Darin befanden sich viele Pülverchen und Tinkturen, aus denen man einen tödlichen Cocktail mixen konnte. Sie eilte hinunter in das ehemalige Arbeitszimmer des Verstorbenen. Das Apothekerschränkchen war zwar verschlossen, doch sie wusste genau, wo der Graf die Schlüssel versteckt hatte. In seiner Schreibtischschublade wurde sie fündig. Die lateinischen Bezeichnungen auf den Papiertütchen sagten ihr nicht viel. Im Herrenzimmer standen ein paar Flaschen mit Likören und edlen Weinen. Sie nahm eines der Kristallgläser und füllte es mit Rotwein. Darin löste sie nun ein Pulver nach dem anderen auf. Ihre Augen glühten dabei, die Wangen waren gerötet vor Eifer. Schließlich betrachtete sie zufrieden den tiefroten Inhalt. Von außen sah er so harmlos aus. Dann füllte sie ein weiteres Glas mit reinem Wein und läutete nach der Küchenmagd. Wenige Minuten später betrat Alina den Raum und verneigte sich vor der Herrin.
„Alina, ich möchte deine Meinung zu diesem Wein hören. Ich beabsichtige, demnächst eine kleine Gesellschaft zu geben und möchte sicher gehen, dass unser Weinkeller nur das Beste zu bieten hat. Koste das!“
Mit diesem Befehl reichte die Comtesse ihrer Dienerin den Weinkelch. Alina zögerte kurz. Was hatte das zu bedeuten? Sie wusste genau: Tat sie es nicht, würde die Herrin sie auf der Stelle entlassen und fortjagen. Aber war da wirklich nur Wein in dem Glas? Misstrauen und Furcht kamen in der Exotin hoch. Sie spürte,
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