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Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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Abend auf dem Gut der Saint-Jacques eintraf. Dunkle Wolken hatten sich in den letzten Stunden am Himmel zusammengezogen und ein fernes Grollen zeugte vom Herannahen eines heftigen Sommergewitters. Die Bauern würden sich freuen, dürstete die Erde doch schon seit Wochen nach Regen. Ein Bote war vorausgeritten, um den hochrangigen Besucher der Comtesse anzukündigen. Elise konnte sich nicht weigern, den Herzog zu empfangen, war dieser doch höheren Standes. Bevor Julien de Montespan ausstieg, um sich ins Haus zu begeben, ermahnte er Marcel noch einmal, sich nicht aus der Kutsche zu wagen. Der erste Blitz zuckte über den violettgrauen Himmel. Der Junge nickte. Er schien nervös zu sein und knete die Hände. Am liebsten wäre er die Treppe hinaufgestürmt und hätte seine Halbschwester geschüttelt, bis diese mit der Wahrheit herausgerückt wäre. Aber das war natürlich unmöglich und auch unter seiner Würde. Der Marquis schlug den Kragen seines Umhanges hoch und ging stolzen Hauptes die Treppe hinauf, an deren Ende sich das hölzerne Portal bereits öffnete und zwei livrierte Diener ihn erwarteten. In seiner Hand hielt er einen Stock aus Ebenholz mit dem silbernen Kopf eines Drachen. Er konnte diesen Stock wie eine Waffe verwenden, denn darin verbarg sich eine scharfe Klinge. Das Donnergrollen wurde heftiger und der nächste Blitz ließ die Pferde im Geschirr aufbäumen, so dass der Kutscher Mühe hatte, die beiden Vorderpferde zu beruhigen, die am liebsten davon galoppiert wären. Der Marquis warf einen mahnenden Blick zurück auf das Gespann, das plötzlich stillstand, als würden unsichtbare Hände zusätzlich in die Leinen greifen. Nur die Flanken der Rösser zitterten und ihr unablässiges Kauen auf den Kandaren zeugten von der Anspannung in ihren Körpern. Während der Marquis im Inneren der Empfangshalle ablegte, wechselten sich draußen Donner und Blitze in rascher Folge ab. Einzelne Tropfen fielen bereits auf die noch vom Tag erhitzte Erde. Die Comtesse Elise kam mit einem falschen Lächeln auf ihn zu und verneigte sich vor dem Marquis, wobei sie ihm die spitzenbehandschuhte Hand reichte, auf die er einen Kuss hauchte.
    „Ich freue mich, Euch auf meinem bescheidenen Anwesen begrüßen zu dürfen, Marquis de Montespan. Ich habe schon so viel über Euch gehört.“
    Der Marquis überhörte ihr Schmeicheln und bat sie um eine Unterredung unter vier Augen. Elise hatte in einem der Salons bereits Gebäck und Kaffee servieren lassen und bat ihn zu einem Imbiss. Aber danach stand ihrem Besucher nicht der Sinn, zumindest nicht nach Gebäck. Nachdem der Diener die Tür des Salons hinter ihnen geschlossen hatte und sie sich gegenüber saßen, ließ de Montespan die Maske der Höflichkeit fallen.
    „Comtesse, ich möchte Euch bitten, mir wahrheitsgetreu und ohne Umschweife alles über den Tod Eures Vaters und der Mutter Eures Halbbruders zu berichten.“
    Elise schaute den Besucher verblüfft an. Wie kam er dazu, sich in ihre Familienangelegenheiten zu mischen? Schon wollte sie ihn empört zurechtweisen und ihn zum Gehen auffordern, da blieb ihr das Wort im Halse stecken. Die Augen des Marquis hatten sie in einen Bann gezogen, der sie wie eine Marionette an den Fäden hielt. Unfähig diesem Blick zu entkommen oder sich gar zu erheben, schilderte Elise Saint-Jacques, wie sie und ihr Vater von der Jagdgesellschaft getrennt wurden, eine Rast in einem Waldstück machten und sie den ledernen Sattelgurt beim Pferd ihres Vaters mit einem kleinen Dolch einschnitt. Dann forderte sie den Comte zu einem Wettrennen auf. Der Rest der Geschichte war dem Marquis bekannt. Ein Fasan flog dicht vor den Vorderhufen hoch, der junge Hengst, der erst vor drei Tagen aus England angekommen war, bäumte sich abrupt auf. Der Sattelgurt riss und der erfahrene Reiter wurde abgeworfen. Der Comte stürzte mit dem Kopf auf einen Baumstumpf. Er war sofort tot. Danach berichtete Elise, wie sie die treue Dienerin aus Eifersucht auf ihren Halbbruder beseitigt hatte. Sie erzählte all dies völlig emotionslos, als würde sie unter einer Wahrheitsdroge stehen. In Wirklichkeit hielt der Marquis ihre Gedanken unter Kontrolle. Er hatte genug gehört. Aber er war nicht als Richter gekommen. Dieses Privileg stand allein dem jungen Marcel zu.
    „Mich dünkt, Ihr gehört zu den Frauen, die alles töten, was sie lieben. Aber es ist nicht an mir, ein Urteil über Euch zu fällen. Es genügt mir, von Eurer Schuld zu wissen.“
    Mit diesen ruhigen Worten erhob

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