Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Bann der Ringe (German Edition)

Im Bann der Ringe (German Edition)

Titel: Im Bann der Ringe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Bielfeldt
Vom Netzwerk:
einer Flasche Rotwein zu verbringen, statt mir Bier und Pizza. Nach einer ausgiebigen Dusche machte er es sich in Shorts und seinem Lieblings-T-Shirt auf seinem großen Sofa bequem.
    Er genoss die Stille. Nur das stetige Ticken der Wanduhr war zu hören. Seite für Seite tauchte er so tief in die Geschichte ein, die er las, dass er vor Schreck den Rotwein über sein T-Shirt kippte, als ein lautes Klicken ihn in die Realität zurückholte. Sofort fiel sein Blick auf die kleine Holzkiste.
    Sie war aus dunklem Zedernholz geschnitzt, mit Beschlägen aus schwarzem Metall, auf denen sich die gleichen ineinander verwobenen Linien befanden, die auch seinen Ring zierten.
    Levians Herz stand still. Für eine Sekunde. Dann galoppierte es schlagartig los, wie ein wildes Pferd auf freier Steppe, während sein Reiter verzweifelt versuchte, nicht den Halt zu verlieren. Vor seinen Augen zuckten Blitze auf und sein Kopf füllte sich mit Watte.
    So fühlt es sich also an, wenn man ohnmächtig wird, war sein letzter Gedanke, bevor ihn eine beängstigende Schwärze umhüllte und mit sich in einen tiefen Abgrund riss.
    Er fiel in eine endlos erscheinende Leere, Dunkelheit umfing ihn wie ein eisiger Umhang. Schemenhaft sah er den Umriss einer Gestalt. Er raste unaufhaltsam auf sie zu. Levian wollte schreien, krallte seine Finger in die Wände des dunklen Tunnels, der ihn umgab, doch er spürte keinen Widerstand. Da war nichts, was ihn in seinem Fall aufhalten konnte. Und dann prallte er auf. Hart. Schmerzhaft. Dann war alles still.
    Nichts bewegte sich mehr.
    Er öffnete verwirrt die Augen und erschrocken erkannte er, wer vor ihm stand. Natalia, seine Mutter.
    Das lange Haar fiel ihr wirr ins Gesicht und über die Schultern, das rote Gewand, welches ihren Körper umhüllte, flatterte in dem nicht vorhandenen Wind. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Blick vernichtend. Und ein höhnisches Lachen erklang aus ihrem Mund.
    „Mutter?“ Fragend sah er sie an. Seine Stimme verhallte ungehört in der Dunkelheit. Ihre Umrisse begannen sich aufzulösen und dann, mit einem Ruck, durchfuhren ihn die Bilder der Vergangenheit und er sah, was er seit über zweihundert Jahren versucht hatte zu verdrängen:
     
    Er sah sich selbst, als er noch ein kleiner Junge war. Auf den Schultern seines Vaters Mortimer. Neben ihnen lief seine Mutter Natalia. Ein Bild aus glücklichen und unbeschwerten Tagen und Levian wurde warm ums Herz. Doch das Bild verblasste und machte einem anderen Platz.
    Er sah Chaya und Elric, seine Freunde, Kinder der Hexen- und Heilerfamilien, die ebenfalls Mitglieder des Schutzbundes der Hexenschaft waren. Die sich ineinander verliebt und trotz des Verbotes des Bundes nicht voneinander abgelassen hatten. Und er sah Elrics Eltern, die nicht einverstanden waren mit der Wahl ihres Sohnes. Doch alle Bitten und Verbote halfen nichts. Er sah Elric, wie er mit ihnen stritt. Er sah Chaya, wie sie weinte. Und diesmal wurde sein Herz schwer. Aber auch diese Bilder verblassten und ein Neues tauchte vor seinen Augen auf, während er in der Dunkelheit schwebte.
    Chaya stand im Feuer, sie schrie nicht, sie tobte nicht. Sie lächelte. Und sie lächelte immer noch, als das Feuer sie erfasste. Und er sah Elric, dessen Kopf in der Schlinge lag und der ebenfalls nicht klagte, als man sie zuzog. Levian wollte schreien, seinen Schmerz über den unsinnigen Tod seiner Freunde herauslassen, aber kein Ton verließ seine Lippen. Und dann, ganz allmählich, löste sich die Dunkelheit um ihn herum auf. Immer lichter wurde der Nebel, bis er schließlich endgültig verschwand.
     
    Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder zu sich kam. Als die Realität ihn wiederhatte, blickte er sofort auf die kleine Kiste. Hatte er sich das alles nur eingebildet? Nein. Das schwarze Holz glänzte im Schein der eingeschalteten Stehlampe, und wie er unschwer erkennen konnte, war der Deckel tatsächlich aufgesprungen. Er hatte nicht geträumt.
    Sein Kopf dröhnte, er musste die Augen wieder schließen, weil ihm noch schwindelig war. Alles in allem fühlte es sich nicht anders an, als total betrunken zu sein. „Scheiß Rotwein“, murmelte er, noch immer ziemlich benommen von seiner Bewusstlosigkeit. „Den kaufe ich nie wieder.“ Sein Lachen schmeckte humorlos und bitter.
    Er wusste nicht, wie lange er weggetreten gewesen war, aber in seinem Kopf schwirrten die so plötzlich aufgetauchten Erinnerungen an die Vergangenheit so wild umher, wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm.

Weitere Kostenlose Bücher