Im Bann der Sinne
war Vicki so durcheinander, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. „Sicher."
„Wir könnten uns doch in dem netten kleinen Coffeeshop treffen, in den wir letztes Jahr gegangen sind."
„Klingt gut."
Minuten später stand Vicki immer noch auf der Straße. Am liebsten wäre sie zu Caleb gerannt, damit er sie in die Arme nahm, und hätte ihn gebeten, alles für sie auf die Reihe zu bringen. Niemand, nicht einmal Ada, konnte sie so aus der Fassung bringen wie Danica. Wie ein Wirbelwind war sie vor ungefähr einem Jahr in Vickis Leben geweht und hatte nach ihrem Verschwinden emotionale Verwüstung zurückgelassen.
Danica war kein schlechter Mensch. Sie war einfach nur so mit sich selbst beschäftigt, dass sie weder Zeit hatte, eine Mutter zu sein, noch ihrer Tochter zuzuhören. Während ihres letzten Besuches hätte Vicki alles für den Rat ihrer Mutter gegeben, wie sie ihre Ehe kitten könnte. Doch Danica war nur daran interessiert gewesen, von ihrer Reise nach Paris zu erzählen.
„Entschuldigen Sie, Miss."
Verwundert drehte Vicki sich um. Ein älterer Herr stand direkt vor ihr und tippte sich leicht an einen imaginären Hut, dann begann er das Schild zu lesen, vor dem Vicki gerade stand. Diese Unterbrechung war genau das, was sie brauchte, um sich aus ihrer Erstarrung zu lösen.
Sie ging zu ihrem Wagen und entschied, ihre Mutter sei ihr Problem und sie würde sich schon selbst darum kümmern. Sie würde sich weder in einem Schneckenhaus noch hinter Caleb verstecken. Wenn sie nicht in der Lage war, mit Danica umzugehen, war sie noch nicht die selbstständige Frau, die sie Caleb gegenüber behauptet hatte zu sein.
Am späten Vormittag des nächsten Tages betrachtete Vicki ihr Handy und bekämpfte den Wunsch, Caleb anzurufen. Er durfte nicht auch noch mit ihren Problemen belastet werden. Nicht gerade jetzt. Doch wie sie es auch drehte und wendete, sie hatte Angst, Danica zu treffen. Beinahe hätte sie Caleb gegenüber den Besuch ihrer Mutter erwähnt, als er morgens zur Arbeit gefahren war. Was sie davon abgehalten hatte, war der gleiche Grund, weshalb sie auch jetzt nicht seine Nummer wählte. Sie musste sich selbst beweisen, dass sie stark genug war, sich ihren Problemen zu stellen.
Sie steckte das Handy zurück in die Handtasche und trank einen Schluck Kaffee. In diesem Augenblick wurde ihr etwas Wichtiges bewusst. Sie war allein gekommen, um Danica zu treffen, doch in Wirklichkeit war sie gar nicht allein. Calebs Vertrauen in sie gab ihr Stärke, und diese Stärke war immer bei ihr.
Etwas Rotes an der Tür des Coffeeshops erregte ihre Aufmerksamkeit. Vicki stellte die Tasse ab und beobachtete, wie eine schöne blonde Frau das Café betrat. Sie war schon weit über fünfzig, aber Danica Wentworth, geborene Striker, wirkte nicht im Geringsten alt. Ihr Haar mit den hellen Strähnchen reichte ihr bis zu den Schultern.
Sie hatte eine perfekte Figur, und ihr Make-up war makellos. Das ärmellose, schlicht geschnittene Wickelkleid, das sie trug, betonte ihr Dekollete, und so mancher Gast drehte den Kopf nach ihr um.
Vor Vickis Tisch blieb Danica stehen. „Victoria, Darling." Ein Hauch ihres Parfüms umwehte Vicki und weckte schmerzliche Erinnerungen in ihr.
Sie stand auf und gab Danica pflichtschuldig ein Küsschen auf die Wange. „Hallo, Mutter." Dann setzte sie sich wieder, und Danica nahm auf dem Stuhl gegenüber Platz. Ihre Bewegungen waren voll lässiger Eleganz. Verglichen mit ihr kam Vicki sich stumpf und glanzlos vor; eine Schwalbe neben einem Paradiesvogel.
„Dieses Blau steht dir gut, Darling." Danica wies auf den himmelblauen Cardigan, den Vicki zu ihrer Lieblingsjeans trug. Sie liebte es, die weiche Kaschmirwolle auf der Haut zu fühlen, aber am meisten mochte sie es, dass Caleb ständig versucht war, sie zu streicheln, wenn sie diesen Pullover anhatte.
„Ist dir nicht kalt?", fragte sie Danica.
Ihre Mutter lachte laut auf. „Ich bin doch heißblütig. Hast du mir inzwischen schon einen Kaffee bestellt?"
„Einen Fiat White ohne Zucker." Das war ein Kaffee, der aus einem Schuss Espresso mit heißer unaufgeschäumter Milch bestand.
„Perfekt."
Kurz darauf wurde Danicas Kaffee gebracht. Sie warf dem Kellner ein strahlendes Lächeln zu, bevor sie einen Schluck probierte. „Sehr gut, obwohl ich zugeben muss, dass ich den Kaffee vermisse, den es zu Hause gibt."
„Wie geht es Italien?" Dorthin war Danica gegangen, nachdem sie Carlo Belladucci kennengelernt hatte, aber sie
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