Im Bann der Sinne
erklären, dass er schrecklich verletzt war. In Wirklichkeit aber empfand er einfach nichts für sie.
Hatte er sie also nur geheiratet, um sie zu demütigen? Um sie zu vernichten?
Irgendwann hatte sie alle Tränen geweint, doch der Schmerz wollte nicht nachlassen. Und jetzt zeigte auch der alte Dämon Furcht wieder sein hässliches Gesicht. In Tariqs Land, in Tariqs Armen hatte sie fast vergessen, mit welch grässlichem Makel sie behaftet war. Ein Makel, der es vermutlich unmöglich machte, dass sie jemals wirklich geliebt werden würde. Die Erinnerung an den schrecklichsten Tag ihrer Kindheit überwältigte sie.
„Findest du es wirklich in Ordnung, dass du die Hälfte von Marys Erbe gefordert hast, bevor du Jasmine adoptiertest?", hatte Tante Ella die Frau gefragt, von der Jasmine geglaubt hatte, sie sei ihre Mutter. „Schließlich ist Mary deine kleine Schwester."
„Natürlich. Schließlich hätte sie sich ja nicht von irgendeinem dahergelaufenen Kerl, den sie in einer Bar aufgegabelt hat, schwängern zu lassen brauchen." Dann war da das Geräusch von Eiswürfeln, die in ein Glas fielen, zu hören gewesen. „Wir sind schließlich kein Wohltätigkeitsverein. Wie sonst hätten die Ausgaben für Jasmine gedeckt werden sollen?"
„Ihr habt aber viel mehr bekommen", hatte Ella erwidert. „Mary hat doppelt so viel von Grandpa geerbt wie wir."
„Ich denke, es ist ein adäquater Ausgleich dafür, dass wir schlechtes Blut in unsere Familie aufgenommen haben. Der Himmel weiß, was für ein Versager Jasmines Vater gewesen sein mag. Mary war so betrunken, als sie sich mit ihm eingelassen hat, dass sie sich nicht einmal an seinen Namen erinnern kann."
Später, als Jasmine sich gezwungen hatte nachzufragen, hatte Tante Ella Mitleid bekommen und ihr von Mary erzählt. Offenbar war Mary sofort nach Jasmines Geburt in die Vereinigten Staaten gegangen, damit auch jeder Hauch eines Skandals vermieden wurde. Sie war niemals zurückgekehrt. Die Leute, die Jasmine aufgezogen hatten, Marys ältere Schwester Lucille und deren Ehemann James, hatten selbst bereits zwei Kinder, Michael und Sarah, und waren ohne finanziellen Anreiz nicht bereit gewesen, ein weiteres Kind aufzunehmen. Trotzdem hatten sie danach noch ein eigenes Kind bekommen, ihren geliebten Matthew.
An jenem Tag hatte Jasmine erfahren, dass jedes bisschen Zuwendung, das sie jemals erfahren hatte, mit Geld bezahlt worden war. Auf der Suche nach Liebe hatte sie an Mary geschrieben. Deren Antwort war an ihrem dreizehnten Geburtstag gekommen, eine kühle Bitte, keine weiteren Briefe zu schreiben, da sie nichts mit den „Fehltritten" ihrer Vergangenheit zu tun haben wolle.
Ein „Fehltritt". Mehr war Jasmine nicht für ihre leibliche Mutter. Und für ihre Adoptivmutter war sie „schlechtes Blut". Und jetzt musste sie einsehen, dass dieser Makel nicht wie durch einen Zauber verschwunden war. Sie war immer noch ungeliebt. Ungewollt.
Am nächsten Tag beschloss Jasmine, dass es wenig Sinn hatte, Tränen zu vergießen wegen etwas, das sie nicht ändern konnte. Trotz ihres Kummers zwang sie sich, in ihr Studio zu gehen. Dort hob sie die Schere auf, wo sie sie am Tag zuvor fallen gelassen hatte.
Nachdem sie etwa eine Stunde gearbeitet hatte, hörte sie ein Telefon klingeln. Kurz darauf klopfte jemand an die Tür.
„Madam?"
Sie blickte auf. „Ja, Shazana?"
„Scheich Zamanat wünscht Sie zu sprechen."
Jasmines Kehle war wie zugeschnürt. Am liebsten hätte sie gesagt, sie sei zu beschäftigt. Aber was hätte es wohl für Konsequenzen, wenn sie ein loyales Mitglied des Personals auffordern würde zu lügen?
„Bitte legen Sie das Gespräch auf diesen Apparat." Sie deutete auf das Telefon neben der Tür. Doch als es Sekunden später klingelte, nahm sie den Hörer kurz auf und legte ihn wieder auf die Gabel. Mit pochendem Herzen eilte sie den Flur hinab zu ihrem Zimmer und hinaus in den Garten. Wieder verbarg sie sich unter dem Baum, während drinnen das Telefon erneut klingelte.
Es war feige, sich vor Tariq zu verstecken, aber sie konnte es nicht ertragen, seine Stimme zu hören, die ihr womöglich noch einmal das Herz brechen und sie auf ihre Unzulänglichkeit und Minderwertigkeit hinweisen würde. Noch war sie nicht bereit, sich den letzten Rest Hoffnung nehmen zu lassen.
Etwa eine Stunde später kehrte sie in ihr Studio zurück. Sie fand eine Notiz, auf der sie darum gebeten wurde, eine bestimmte Nummer anzurufen.
„Geh zum Teufel!" Sie zerknüllte das
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