Im Bann der Versuchung
beschlich ihn. War es pure Fantasie? Nein, sie erinnerte ihn stark an die zierliche Wasserfee, die ihm in einer stürmischen, dunklen Nacht, als er zu viel getrunken hatte, im Traum erschienen war. Irritiert wandte er sich ab. Er musste wirklich einmal wieder richtig ausschlafen. Vor lauter Arbeit begann er schon Trugbilder zu sehen und sentimental zu werden.
Einige Männer aus seiner Mannschaft zogen das Boot aus dem Wasser, das sie für die täglichen Fahrten zwischen der Insel und Sgeir Caran benutzten. Heute hatten sie für die Verankerung des Leuchtturmfundaments am Riff Löcher in den schwarzen Basalt gebohrt. Als der Ingenieur vor Ort überwachte Dougal alle Arbeiten und scheute sich auch nicht, selbst mit Hand anzulegen. Müde und schmutzig von der schweren Arbeit dehnte und streckte er die steifen Schultern. Er freute sich auf ein Bad und saubere Kleidung, auf ein warmes Abendessen. Danach würde er sich in seine Hütte zurückziehen, um im Schein der Petroleumlampe die Baupläne zu studieren, den Fortschritt des Bauvorhabens zu protokollieren und die Maße sorgfältig zu überprüfen, bevor der nächste Bauabschnitt in Angriff genommen werden konnte.
Er schaute über den sichelförmigen Sandstreifen, der den kleinen natürlichen Hafen von Caransay umschloss. Möwen zogen schreiend ihre Kreise über ihm. Am Kai waren dicht nebeneinander die Fischerboote vertäut, weitere Boote lagen auf dem Sandstrand. Wie zwei riesige Wächter reckten sich zu beiden Seiten der Bucht die hohen Kliffs auf, Landspitzen, die aus dem gleichen schwarzen Basalt bestanden wie das Riff, das ungefähr eine Meile vor der Insel im Meer lag.
Dougal drehte sich um. Er liebte es, wenn die salzige Brise ihm durch das dichte braune Haar strich, an seiner Jacke und dem kragenlosen Hemd zerrte. Hier draußen trug er selten Hemdkragen und Krawatten, obwohl er aus Respekt vor den Frauen immer eine Weste und eine Jacke anhatte. Lachend liefen ein paar Kinder an ihm vorbei durch die leichte Brandung, und einige kletterten über einen schmalen Pfad auf das nahe Kliff.
„Sie ist sicher Norrie MacNeills Enkelin", meinte Alan. „Er hat erzählt, dass sie diese Woche zu Besuch kommen will. Offensichtlich lebt sie nicht auf Caransay."
„Aha." Dougal nickte. Kein Wunder, dass er sie vorher noch nicht gesehen hatte.
„Vielleicht tanzt sie ja mit mir am nächsten Freitag auf dem Ceilidh", überlegte Alan laut. „Letzten Freitag habe ich den ganzen Abend bei Norries alter Mutter gesessen. Mutter Elga kann wunderbare Geschichten erzählen und herrliche Lieder singen, aber tanzen will sie nicht mehr." Er lachte leise. Nachdem er eine Weile nachdenklich geschwiegen hatte, schüttelte er den Kopf. „Unsere jungen Arbeiter haben mit Bedauern festgestellt, dass es auf Caransay nur wenige junge Frauen und unverheiratete Mädchen gibt. Daran hätten Sie aber wirklich denken müssen, Stewart, als Sie uns für ein ganzes Jahr hierher angeheuert haben."
Dougal lachte. „Ohne Ablenkung arbeitet ihr schneller."
„Na, Sie aber auch, Boss, wenn ich an all die schönen Mädchen denke, die euch in Edinburgh und Glasgow umgarnt haben. Ach, schauen Sie mal! Da geht mein Traum." Alan wies auf die junge blonde Frau, die anmutig mit schwingendem Rock und langen Schritten auf die Landspitze zustrebte. Sie winkte den Kindern zu, die den Fels hinaufkletterten, und bedeutete ihnen herunterzukommen. Alan seufzte theatralisch. „Welch ein Pech! Die ist bestimmt schon verheiratet und hat Kinder."
„Vielleicht haben Sie ja noch Chancen, Alan, und sie ist nur die Schwester oder Cousine der kleinen Kobolde."
„Ach, das glaube ich nicht. Sehen Sie nicht den langen Kerl, der da bei ihr steht? Schauen Sie mal, wie sie ihn anhimmelt. O nein, das bricht mir das Herz. Warum bekomme ich nicht so ein bezauberndes Lächeln?”
„Na ja", meinte Dougal mitfühlend. Ein junger Mann mit wirrem Haar - die ausgebeulte Jacke, Hose und Stiefel unterschieden ihn nicht von den anderen Fischern der Insel - unterhielt sich mit der Schönen, während sie zugleich den kleinsten der kühnen Kletterer beim Hemdzipfel packte und vom Felsen herunterzog. Der Blondschopf umarmte sie und nahm dann ihre Hand.
Dougal verspürte eine tiefe Enttäuschung, als er der jungen Frau zuschaute, die offensichtlich ihre kleine Familie um sich versammelte. Er hatte das Gefühl, endlich seine Wasserfee gefunden und gleich wieder verloren zu haben. Während er mit Alan den Plan für den kommenden Tag
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