Im Bann der Versuchung
die Hände hielt sie vor der Brust verschränkt, der Regen rann ihr durch die Locken, der Wind fuhr unter ihren Rock.
Wieder verspürte Dougal das mächtige Verlangen, sie in die Arme zu nehmen und ihr eigenwilliges kleines Herz zu erobern. Doch als er ihr gerade sagen wollte, dass sie gemeinsam lösen würden, was auch immer ihr Kummer machte, da drehte sie sich um und rannte davon. Sein Stolz hielt ihn zurück. Er ließ sie gehen, machte sich auf den Heimweg über die Machair, eine Hand die ganze Zeit in der Tasche, wo er das Päckchen sicher und trocken hielt.
Sobald er in seiner kleinen Hütte war, eine Lampe angezündet und den nassen Mantel ausgezogen hatte, holte er das Päckchen hervor und setzte sich. Nachdem er das Leinentuch entfernt hatte, kam ein in Leder gebundenes und mit einer roten Schleife versehenes Buch zum Vorschein.Vorsichtig blätterte er durch die Seiten und stellte fest, dass sie ihm eins ihrer Journale geschenkt hatte. Es war das erste Buch, voller Bleistift-und Federzeichnungen, einige mit Wasserfarben ausgemalt, die Seiten gefüllt mit Bildern von Blumen und anderen Pflanzen, Muscheln und Steinen, Vögeln und anderem Getier. Jede Zeichnung war mit peinlich genauer Schrift betitelt und kurz kommentiert.
Langsam blätterte er Seite für Seite durch das Buch, dann schloss er es und wickelte es wieder in das Band und das Leinentuch. Die Hand auf dem Päckchen, saß er noch eine ganze Weile da und dachte nach. Dann drehte er sich um und öffnete seine Post.
Im Licht der Lampe las er die Briefe und verfasste die Antworten. Der Regen trommelte gegen die Fensterläden, der Sturm heulte um seine solide gebaute kleine Hütte, und die Wellen brandeten ohne Unterlass auf den Strand.
20. August 1857
An die Nördliche Leuchtturmkommission
George Street
Edinburgh
Sehr geehrte Herren, vor kurzem hatten wir hier einen Orkan mit heftigen Regengüssen und mehr als sechs Fuß hohen Wellen. Zwei Tage konnten wir unsere Unterkünfte auf Caransay nicht verlassen. Danach fanden wir unseren Arbeitsplatz verwüstet.
Auf Sgeir Caran sind zwei Werkshallen und die Schmiede zerstört worden. Die eiserne Lagerhalle, die im Fels verankert war, ist halbseitig aus den Fundamenten gerissen. Vermisst werden verschiedene Werkzeuge, Werkbänke, ein Amboss vermutlich hat der Sturm alles ins Meer geblasen. Erstaunlicherweise haben Sturm und Wellen auch zwei Steinblöcke, jeder wiegt vier Tonnen, vom Felsen geschoben, sie liegen nun auf dem Meeresgrund. Mit Hilfe von Tauchern und Winden hoffen wir, all diese Materialien wiederfinden und hinaufziehen zu können.
Für Reparatur, Wiederherstellung von Gebäuden und Ersatz von Ausrüstungsgegenständen werden zusätzliche Finanzmittel benötigt. Das wird meinen ehemaligen Kostenvoranschlag von fünfzigtausend Pfund um fünf Prozent erhöhen.
Allerdings informierten mich Lady Strathlins Anwälte inzwischen, dass einige Geldgeber, die ehemals Finanzhilfen angeboten hatten, ihre Zusage zurückgezogen haben.
Ich werde in Kürze nach Edinburgh kommen. Mit der Zustimmung der Kommission hoffe ich, andere Geldgeber für den Bau zu interessieren.
Außerdem beabsichtige ich, Lady Strathlin persönlich aufzusuchen.
Hochachtungsvoll
Dougal Robertson Stewart
Innish Bay
Caransay
Kapitel 15
„ D u willst das Projekt also auf keinen Fall aufgeben?" fragte Sir Aedan MacBride, während er sich in seinem Ledersessel zurücklehnte. „Ich bin völlig deiner Meinung, Dougal. Der Standort ist ideal. Schade, dass Lady Strathlin das nicht einsieht."
Die beiden Männer hatten sich nach dem Abendessen in den Rauchsalon auf der obersten Etage des Dundrennan House zurückgezogen, Aedans Landhaus in Strathclyde. Dougal schätzte die stille, zurückhaltende Art seines Cousins, der die Fähigkeit besaß, zuzuhören und seinem Gesprächspartner Zeit zum Überlegen ließ. Aedan war Straßenbauingenieur, und bei einem Glas Portwein hatte Dougal ihm in aller Ruhe von seinen Schwierigkeiten mit dem Leuchtturm und Lady Strathlin berichtet.
„Trotz der neuesten Schikanen von Lady Strathlin und ihrem Anwaltsgesindel kann und will ich nicht aufgeben." Dougal drehte nachdenklich das Glas in der Hand. „Wenn es nicht anders geht, werde ich diesen verdammten Turm Stein für Stein selbst errichten, ja, ich werde ihn sogar auf eigene
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