Im Bann der Versuchung
körperlichen Gefahren, denen er bislang ausgesetzt gewesen war. Zusammen mit seinem Cousin und dessen Frau wollte er das Konzert besuchen und anschließend das elegante Heim von Lady Strathlin aufrecht und stolz betreten.
Aber nicht nur den Menschen, die ihn grundlos verurteilten, würde er begegnen, sondern er würde auch die Frau, die er liebte und die er gebeten hatte, ihn zu heiraten, wiedersehen. Auch diese Begegnung würde er gefahrlos überstehen, nahm er sich vor. Er wollte sie begrüßen, sich kurz und kühl mit ihr unterhalten und dann den Abend irgendwie hinter sich bringen. Man konnte ihn nicht mehr verletzen, sein Herz fühlte nichts mehr vor lauter Wut und Enttäuschung.
Wie er aber sein weiteres Leben ohne sie ertragen sollte, das wusste er noch nicht, als er sich zur Tür wandte, um hinunter in die Halle zu gehen, wo seine Verwandten auf ihn warteten.
„Beachten Sie einfach niemanden, Mylady. Sobald das Konzert beginnt, konzentrieren Sie sich ganz auf die Vorstellung", flüsterte Mrs. Berry, die neben Margaret in der Theaterloge saß.
„Natürlich, Berry. Bei einer so faszinierenden Sängerin wie Miss Lind wird es mir nicht schwer fallen, mich auf die Vorstellung zu konzentrieren." Margaret schaute auf die geschlossenen, schweren Samtvorhänge vor der Bühne. Unten füllten sich die Ränge mit den Theaterbesuchern. Manch einer drehte sich um und starrte ungeniert zu ihr und ihren Begleitern in der Loge herauf.
„Vulgär, wie manche Leute sich benehmen", nörgelte Mrs. Berry und verbarg ihr Gesicht hinter ihrem blauen Fächer.
Guy Hamilton, der im schwarzen Abendanzug neben Angela hinter Margaret und Mrs. Berry saß, beugte sich zu den beiden Frauen vor. „Lady Strathlin kann nichts dafür, dass sie die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Fast jeder in diesem Theater möchte die Baroness sehen, die so selten in der Öffentlichkeit auftritt. Und bei drei so bezaubernden Damen in dieser Loge fragt sich bestimmt manch einer, welche der drei wohl Lady Strathlin sein mag."
„Vielleicht", gab Mrs. Berry zu. Stolz strich sie über den Rock ihrer dunkelblauen Samtrobe. „Denken Sie daran, Mylady, während der Pause promenieren Sie langsam und würdevoll. Bleiben Sie nicht stehen, um sich zu unterhalten ... vor allem nicht mit den Gentlemen. Wir sind hier nicht am Strand von Caransay."
„Oh? Hat Lady Strathlin am Strand mit einem Gentleman geplaudert?" fragte Guy Hamilton und blinzelte Margaret dabei fröhlich zu.
„In der Tat! Nur Rock und Bluse hat sie angehabt und keine Schuhe", flüsterte die alte Lehrerin. „Und ich? O Gott, ich war im Badeanzug. Todesängste habe ich ausgestanden! "
„Das kann ich mir vorstellen. Und wer war der Gentleman?" wollte Angela wissen.
„Mr. Stewart, der die Leuchttürme baut", erklärte Mrs. Berry, faltete die behandschuhten Hände, spitzte stolz die Lippen und straffte die Schultern. „Er nahm an, ich wäre die Baroness. Muss wohl mein Benehmen gewesen sein!"
„Bestimmt", murmelte Hamilton und zwinkerte Margaret zu.
„Ich habe zwar nicht persönlich mit ihm gesprochen, aber dieser Mr. Stewart ist ein wohlerzogener Mann, charmant und stattlich", fuhr Mrs. Berry fort. „Und mutig ist er auch. Er hat einen kleinen Jungen vor dem Ertrinken gerettet. Dabei hat er mit einem Hai gekämpft. Heldenhaft!"
„Wirklich? Sehr beeindruckend", staunte Hamilton.
„Von solch aufregenden Erlebnissen haben Sie gar nichts erzählt, Madam", sagte Angela leise.
„Ja, Mr. Stewart hat ein Kind vor dem Ertrinken gerettet. Er war sehr mutig", gab Margaret zu.
„Es war der kleine Iain. Sie wissen doch, wer das ist, Mrs. Shaw", sagte Mrs. Berry und sah Angela, die erschrocken Luft holte, bedeutungsvoll an. Guy Hamilton zog nachdenklich die Stirn in Falten.
Margaret schlug heftig ihren Fächer. Mrs. Berry verstand den schweigenden Hinweis und drehte sich ohne weiteren Kommentar wieder um.
„Später möchte ich die ganze Geschichte hören. Außerdem sollten wir Mr. Stewart für seine mutige Tat danken", meinte Angela. „ Ich freue mich, ihn kennen zu lernen, nach allem, was ich in der letzten Zeit über ihn gehört habe. Eine Schande, was Sir Edward und seine Bande ihm angetan haben. Sie sollen ihn ja fast ruiniert haben. Und alles nur wegen dieses unseligen Streits.”
„Früher hätte ich ja gesagt, Mr. Stewart verdient es nicht anders", begann Hamilton. „Aber nun muss ich der lieben Mrs. Shaw Recht geben. Nach allem, was ich in letzter Zeit über Mr. Stewart
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