Im Bann der Wasserfee
gelungen, hinauszugelangen.
Die Wächter schlossen das Tor wieder. Sie hatte nur ein kleines Stück des Strandes erblicken können. Von ihrem Balkon aus war alles so fern. Wehmütig starrte sie auf das für sie ewig verschlossene Tor.
»Dahut? Geht es dir gut?« Aouregwenn sah sie besorgt an. Lag Mitleid in ihrem Blick? Dahut wollte es nicht wissen. Sie nickte nur.
Aouregwenn war ihre Freundin, die mit ihr beinahe wie eine Schwester aufgewachsen war. Sie war ebenso blond wie sie, obgleich ihr Haar eine Nuance weniger golden war, sondern eher flachsfarben.
»Dies habe ich dir mitgebracht. Sie gehört dir.« Lächelnd reichte ihr Aouregwenn eine große, helle, in sich gedrehte Muschelschale. Glücklicherweise war sie leer.
»Sie trägt das Rauschen der Wellen in sich.« Aouregwenn lächelte sie noch einmal an, bevor sie ging.
Mit der Muschel in der Hand blieb Dahut zurück. Sie lief den Pfad zwischen dem Gestrüpp zurück, wo sie niemand sah. Nur Ewen war in unmittelbarer Nähe, doch er verhielt sich wie immer diskret. Lange genug war er ihr Leibwächter und wusste, dass sie jetzt ihre Ruhe brauchte.
Dahut hielt die Muschel an ihr Gesicht. Sie spürte ihre Glätte, die Kälte und roch die Reste des Salzwassers, das ihr noch immer anhaftete und ihre Sehnsucht danach schmerzlich verstärkte. Dahut hob sie an ihr Ohr und vernahm den Sirenengesang des Meeres, das nach ihr rief und ihr unerreichbar erschien.
Sie war eine Gefangene in der goldenen Stadt, die Prinzessin des größten Kerkers der Cornouaille und die einzige Gefangene mit unsichtbaren Ketten, Dahut, die ungewollte Bastard-Prinzessin.
Ragnar stand leise fluchend in seinem Raum. Es war schwerer, an Gradlon heranzukommen, als er befürchtet hatte. Er befüllte die Waschschüssel und legte seine Kleidung bis auf das sein Gemächt bedeckende subligaculum ab.
Er wusch gerade seinen Oberkörper, da klopfte es an der Tür.
»Wer ist da?«
»Ich, Dahut. Lass mich rein. Schnell.« Ihre Stimme war leise. Sie klang gehetzt.
Er riss die Tür auf und zog sie hinein. Sie war beängstigend blass.
»Was ist geschehen?«, fragte er.
»Gradlon will mich verheiraten.«
Ragnar starrte sie an. Er wusste nicht, ob er lachen oder fluchen sollte. »Ja, und?«
»Das soll recht bald erfolgen. Wenn mein Zukünftiger hier ist, wird es umso schwerer sein, aus Ys zu entkommen.«
»Doch nicht unmöglich.«
Sie schluckte. »Das gewiss nicht. Ich will nicht als verheiratete Frau fliehen.«
Ragnar nickte. Sie wollte die Ehe nicht vollziehen. Das verstand er. »Und was habe ich damit zu tun?«
Ihr Blick wanderte über seinen halbnackten Leib. »Du hast mir geschworen, mich nach Gwynedd mitzunehmen. Dann tu dies sofort!«
»Das habe ich, doch ich habe keinen Zeitpunkt genannt. Ich werde dich mitnehmen, sobald ich mein Werk hier vollbracht habe.« Er hoffte, nicht zu viel gesagt zu haben.
»Welches Werk?« Sie sah ihn misstrauisch an.
Ragnar schluckte. Er konnte ihr ja schlecht sagen, dass er ihren Vater töten wollte. »Ich möchte Land und Leute kennenlernen. Ein Mann sollte seinen Horizont erweitern, wo er nur kann.«
Dahut nickte. »Gewiss. Doch beeile dich! Es gibt noch andere Orte, die du kennenlernen kannst.«
So, wie sie dies sagte, erschien ihm seine Ausrede lächerlich.
»Das werde ich, Dahut. Das werde ich.«
»Ich verlasse mich auf dich. Zumindest für eine gewisse Zeit.«
»Warum ich? Du könntest auch alleine fliehen oder jemand anderen finden.«
»Möchtest du, dass ich dich vom Schwur entbinde?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin ein Mann von Ehre. Ich werde dich mitnehmen. Doch warum fiel deine Wahl auf mich?«
»Weil du aus Gwynedd bist. Du kennst die Gegend dort und kannst mir helfen.«
»Dylan ist auch von dort.« Tatsächlich könnte er ihr weitaus mehr über Gwynedd erzählen als Ragnar.
»Er ist nicht aus Gwynedd. Ich habe ihn gefragt. Aber du bist von dort.«
Diese verdammten Lügen brachten ihn nur in Schwierigkeiten.
Ihr Blick ruhte auf seinem Gemächt. »Ich hätte dir nicht wirklich was abgeschnitten, weißt du. Nur, wenn du mich dazu gezwungen hättest.«
»Das beruhigt mich ungemein.« Er beugte sich vor und nahm eine Strähne ihres Haares zwischen die Fingerspitzen. Dabei stieg ihm ihr berauschender Duft in die Nase. »Ist die Farbe echt?«
Verwundert sah sie ihn an. »Natürlich. Wie sollte sie sonst sein?«
»Rot.«
»Du meinst, ich hätte sie gebleicht? Nein. Ich habe nichts daran verändert.« Sie fuhr sich mit
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