Im Bann der Wasserfee
keine Ausnahmen.« Das Gesicht des Wächters war wie aus Stein gemeißelt. Ausdruckslos und kalt. Selbst Ewen mit seinen stechenden dunklen Augen und der Glatze wirkte nicht so unnahbar wie er und der andere Wächter unweit von ihm. Dahut war nur ein Bastard. Wenn Gradlons ehelicher Sohn Salomon jetzt hier stünde, würden sie ihn sicher ohne Weiteres durchlassen.
Der Wachmann, mit dem sie gesprochen hatte, wandte sich bereits wieder von ihr ab, und starrte in den Flur. Dahut rannte an ihm vorbei. Offenbar hatten die Wächter damit nicht gerechnet und hielten sie auch nicht für eine Bedrohung, denn sie reagierten nicht schnell genug. Dahut stieß die Tür zu Gradlons Raum auf, bevor sie jemand aufhalten konnte.
Ihr Vater und der Priester Sanctus Corentinus starrten sie an. Sie schien gerade ein Gespräch unterbrochen zu haben.
»Was gibt es?« Gradlon schien über ihre Anwesenheit nicht gerade begeistert zu sein.
»Brigantias Tempel wurde zerstört!«
»Wegen so etwas störst du mich?« Er starrte sie an, als wäre sie von Sinnen.
»Es muss herausgefunden werden, wer das war, damit es nicht wieder geschieht.«
Gradlon betrachtete sie unter hochgezogenen Brauen. »Worin besteht die Schwierigkeit? Du musst ohnehin der alten Religion abschwören, sobald du heiratest. Dein Mann ist Christ. Er wird das Heidentum nicht dulden.«
»Heiraten?« Das kam zu plötzlich für sie.
Gradlon nickte. »Ja, heiraten. Einen von Sanctus Corentinus empfohlenen Mann. Jemanden, der mein ganzes Vertrauen besitzt.«
Sanctus Corentinus steckte also dahinter. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Dahut glaubte sich in einem Albtraum zu befinden. Sobald sie verheiratet war, würde ihr Vater sie verlassen und niemals wieder zurückkehren. Kaira und Salomon waren seine Familie, sie nicht.
»Wann?«, fragte sie.
»In ein paar Wochen. Dein Gemahl wird in wenigen Tagen anreisen.«
Dahut erschrak, da ihr das alles viel zu schnell vorkam. »Und wenn ich nicht will?«
Gradlon sah sie von oben bis unten an. »Du hast bereits vor zwei Jahren mehrere Bewerber um deine Hand abgewiesen. Du wirst bald zwanzig Jahre alt. Ich werde dir nicht mehr länger die Wahl lassen.« Als hätte er dies jemals ...
Er wollte sie offenbar so schnell wie möglich loswerden, um nach Huelgoat abzureisen. Dahut wandte sich um und stürzte so schnell aus dem Raum, wie sie hineingekommen war. Im Flur traf sie auf Ewen, der ihr sogleich folgte.
Sie verließ den Palast und ging durch den Garten bis zum selten benutzten Pfad. Dort bat sie Ewen darum, einige Schritte Abstand zu halten. Wortlos reichte er ihr ein Taschentuch, bevor er sich diskret im Hintergrund hielt.
Womöglich würde sie schneller sein, wenn sie die Straße benutzte, doch sie wollte nicht weinend gesehen werden. Es war schlimm genug, dass sie dies vor ihrem Leibwächter tun musste, doch jetzt konnte sie sich nicht in ihr Gemach zurückziehen. Dort würde sie sich erdrückt fühlen. Sie brauchte die Weite des Ozeans und die Freiheit, die er versprach. Als sie das Tor erreichte, waren ihre Tränen verebbt.
Die drei Wächter vor dem nördlichen Tor grüßten sie mit dem Namen. Natürlich kannte jeder die Prinzessin von Ys. Jeder, außer den beiden Fremden, mit denen sie keinen Kontakt haben durfte.
Dahut schlug die Augen nieder. Sie setzte dieses Lächeln auf, das schon so manches Männerherz hatte erweichen lassen. »Lasst mich hindurch. Ich will nur einen kleinen Spaziergang am Strand machen, mehr nicht.«
»Es tut mir leid, Prinzessin, doch der König höchstselbst hat die strikte Anweisung erlassen, Euch nicht hinauszulassen.«
Natürlich hatte er das. Er wollte nicht, dass sie zum Meer ging. Vermutlich befürchtete er nur, einer seiner zahlreichen Feinde würde sie aufgreifen und Lösegeld verlangen. Das Meer barg für sie nicht mehr Gefahren, als für alle anderen Menschen.
Dahut zwang sich zum Lächeln. »Aber was soll schon geschehen? Es ist kein Sturm. Dieser Strandabschnitt ist vom Festland aus unzugänglich wegen der Felsen und vom Meer unerreichbar aufgrund der Sandbänke.«
»Wir hinterfragen die Befehle des Königs nicht.«
In diesem Moment klopfte jemand von der anderen Seite am Tor. Die Wächter taten auf, woraufhin Aouregwenn hindurchtrat. Dahut wollte sich an ihr vorbei hinausdrängen, doch die Wachen hielten sie fest.
»Bleibt hier, Prinzessin!«
Sie zogen sie zurück, bevor sie die Gelegenheit hatte, zu entwischen. Auch wusste sie, dass sie sie verfolgen würden, wäre es ihr
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