Im Bann der Wasserfee
der Zauber bereits.
Sie betrat den gewaltigen Palasthof, an dem sich auch ein Garten und die Therme anschlossen. Sie sah einen Schatten in letztere huschen. Keinen Schlangenschatten, sondern einen Menschen. Niamh glaubte, ihn erkannt zu haben.
Sie überquerte den Hof und erklomm die Stufen. Die Therme stand erhöht, weil sie auf Stützen erbaut worden war. So entstand ein Hohlraum unter dem Haus, der mit heißer Luft durchströmt wurde und dadurch den Fußboden erwärmte. Auch gab es Luftkanäle im Mauerwerk, wodurch die heiße Luft in die Räume geleitet wurde. Die Technik der Römer beeindruckte Niamh.
Sowohl die Bodenmosaike als auch eine Statue im Apodyterium der Männer, dem Umkleideraum, bildeten König Gradlon ab oder besser gesagt eine jüngere Version von ihm, wie Niamh ihn nie in Person gesehen hatte. Offenbar hatte er sich in all den Jahren nicht sehr verändert, außer, dass er einen Bauch bekommen hatte. Es war dreist von ihr, jenen den Männern vorbehaltenen Teil der Therme zu betreten, doch sie wollte endlich Gewissheit darüber erlangen, ob ihre Vermutung stimmte.
Dylans Kleidung lag auf einem der Sitzbänke. Er hatte sich offenbar nicht die Mühe gemacht, sie in einem der kleinen, abschließbaren Loculi , den Wandnischen, zu verstauen. Noch wahrscheinlicher jedoch war, dass er sie jederzeit griffbereit haben wollte und es sehr eilig hatte.
Niamh schlich zum Durchgang in das Frigidarium. Der größte Raum der Therme wurde nie beheizt. Auch das Wasser in den Piscinen , den Becken, war kalt. Ihr Blick glitt über die Marmorsessel, doch keiner davon war belegt. Sie versteckte sich hinter einem davon.
Ihre Vermutung wurde zur Gewissheit: Er war ein Selkie! Niamh war fast ein wenig enttäuscht, ihn in seiner anderen Gestalt im Wasser zu sehen. Gerne hätte sie Dylan nackt gesehen. Doch was hatte sie erwartet? Natürlich kam er wegen der Verwandlung hierher. Dazu brauchte er das Wasser, soweit sie über seine Art Bescheid wusste.
Doch ihn so zu sehen, erweckte ebenfalls ihre Neugierde. Er war schön und schlank und schwamm mit vollendeter Anmut. Sie war so fasziniert von seinem Anblick, dass sie eine Weile zusah. Zu ihrem Glück war er so in sein Tun vertieft, dass er sie nicht bemerkte. Zumindest hoffte sie das.
Nach einer Weile zog sie sich zurück. Als sie die Therme verließ, vernahm sie Schritte von außerhalb. Eilig versteckte sie sich hinter einem Strauch Falschen Jasmins, dessen schneeweiße Blüten geschlossen waren.
Niemand sollte sie hier sehen. Es gehörte sich nicht, sich in dem für die Männer vorgesehen Teil der Therme herumzutreiben. Noch schlimmer war es, hierbei erwischt zu werden. Allerdings war es äußerst unwahrscheinlich, dass jemand um diese Zeit in die Therme ging. Es war mitten in der Nacht. Da besuchte man Tavernen, trieb sich draußen herum oder schlief. Deshalb hatte Dylan vermutlich diese Zeit gewählt.
Niamh spähte zwischen den Zweigen hindurch. Zwei junge Männer kamen des Weges. Ihrem Gang nach zu urteilen, hatten sie dem Wein mehr zugesprochen, als ihnen guttat. Sie liefen geradewegs auf die Therme zu!
Ein Schweißtropfen rann über Niamhs Stirn. Wenn sie Dylan in seiner Selkie-Gestalt erwischten, bedeutete dies nichts Gutes. Sie trat hinter dem Busch hervor und eilte die Stufen hinauf.
»He, das ist doch eine Frau«, sagte der Kleinere der beiden.
»Ihr habt Euch in der Tür geirrt! Ich will heute auch noch in die Therme. Da kann ich keine Frau dabei gebrauchen«, rief der Größere.
Sein Begleiter lachte. »Bist du sicher, dass du sie nicht gebrauchen könntest? Das wäre mal was neues.«
Niamh eilte unbeirrt weiter. Dicht hinter ihr liefen die Männer, dennoch betrat sie als erste das Frigidarium. Dylan hatte sich, wie sie es befürchtet hatte, noch nicht zurückverwandelt. Schnell konzentrierte sie ihre Gedanken und legte einen Verschleierungszauber über ihn und sich selbst.
Dylan wandte sich zu ihnen um, als die beiden Männer das Frigidarium betraten. Niamh lächelte ihm aufmunternd zu. Leider hatte sie ihm die Illusion, ein Mann zu sein, nicht geben können, doch es würde genügen.
»Wir haben uns geirrt. Es handelt sich um keine Frau«, sagte der Kleinere.
Sein Begleiter lachte. »Du hast wohl zu tief in den Krug geschaut, Nevio.« Er wandte sich an Niamh. »Wir wünschen Euch einen schönen Abend, Dominus. Aber was macht der Hund hier?«
»Keine Ahnung. Ich glaube, jemand hat sich einen Scherz erlaubt und ihn reingelassen.«
Aus Dylans
Weitere Kostenlose Bücher