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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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gesagt. Die Faust hat ihnen den Rücken zugekehrt. Die Faust weiß, wie man den Wert eines Menschen einschätzt …« Der Hauptmann machte eine Pause; ein Stirnrunzeln zeichnete sich auf seinem narbigen Gesicht ab. »Es gibt Zeiten, in denen man ein Leben nicht mit Münzen bezahlen kann. Und wenn diese Grenze einmal überschritten ist, gibt es keinen Weg zurück. Ihr seid jetzt Soldaten. Soldaten der Siebten Armee. Jeder von euch wird regulären Trupps meiner Infanterie zugeteilt werden. Ihr werdet Seite an Seite mit euren Kameraden stehen – und denen ist es verdammt egal, was ihr früher einmal gewesen seid.« Er wandte sich an seinen Sergeanten. »Teile diese Soldaten ihren Einheiten zu, Sergeant.«
    Duiker beobachtete das Ritual schweigend; die Männer und Frauen wurden aufgerufen und erhielten ihre Uniformen. Gleichzeitig traten die Trupps vor, um ihre neuen Mitglieder aufzunehmen. Nichts wirkte übertrieben, nichts wirkte gezwungen. Die routinierte Sachlichkeit verlieh dem Vorgang eine ureigene Bedeutung, und die ganze Szene lief schweigend ab. Der Historiker sah viele Rekruten in den Vierzigern, doch keiner war untauglich. Jahrzehnte harter Arbeit und zwei Schlachten hatten dafür gesorgt, dass hier eine Gruppe von hartnäckigen Überlebenden versammelt war.
    Sie werden ihren Mann – oder ihre Frau – stehen. Und sie werden ihre Sache gut machen.
    Der Hauptmann trat zu ihm. »Als Diener«, grollte Lull, »hätten sie vielleicht überlebt, wären an andere Adelsfamilien verkauft worden. Jetzt, mit dem Schwert in der Hand, werden sie sterben. Könnt Ihr die Stille hören, Duiker? Wisst Ihr, was sie bedeutet? Ich bin mir sicher, Ihr wisst es nur allzu genau.«
    Was auch immer wir tun – der Vermummte lächelt dazu.
    »Schreibt das auf, alter Mann.«
    Duiker warf dem Hauptmann einen Blick zu. Er sah einen gebrochenen Mann vor sich.
     
    Am Gelor-Kamm hatte Korporal List sich in den Graben neben der Rampe geworfen, um einem Pfeilhagel zu entgehen. Sein Fuß war auf einer Speerspitze gelandet, die senkrecht aus dem Dreck geragt hatte. Die stählerne Klinge war durch die Sohle seines Stiefels gedrungen und dann zwischen dem großen Zeh und dem nächsten durch seinen Fuß.
    Eine unbedeutende Wunde, ein unglücklicher Zufall. Doch Stichverletzungen waren die am meisten gefürchteten Wunden, die man sich in einer Schlacht zuziehen konnte. Ihnen folgte häufig ein Fieber, das die Gelenke befiel – auch die Kiefergelenke – und es unmöglich machte, den Mund zu öffnen, was die Kehle für jede Nahrung verschloss und schließlich zu einem schrecklichen Tod führte.
    Die wickanischen Pferdefrauen hatten Erfahrung damit, solche Wunden zu behandeln, doch ihre Vorräte an Pulvern und Kräutern waren schon längst aufgebraucht, sodass ihnen nur noch eine einzige Behandlungsmethode blieb: die Wunde auszubrennen, und zwar so gründlich wie nur irgend möglich. In den Stunden nach der Schlacht am Gelor-Kamm war die Luft schwer vom Gestank nach verbranntem Haar gewesen – und von dem makaber verlockenden süßen Duft von gekochtem Fleisch.
    Duiker entdeckte List, der mit einem entschlossenen Ausdruck auf seinem schmalen, schweißüberströmten Gesicht im Kreis herumhumpelte. Als der Historiker sich ihm näherte, schaute der Korporal auf. »Ich kann auch reiten, Herr, wenn auch immer nur eine Stunde lang. Dann wird der Fuß taub, und dann könnte die Entzündung zurückkommen – zumindest hat man mir das gesagt.«
    Vor vier Tagen war der Historiker neben der Schlepptrage des Korporals hergeritten und hatte auf einen jungen Mann hinuntergeblickt, von dem er sicher geglaubt hatte, dass er sterben würde. Eine ausgemergelte Pferdefrau hatte den Korporal im Gehen schnell untersucht. Duiker hatte den grimmigen Ausdruck gesehen, der sich auf ihr Gesicht gelegt hatte, als sie die geschwollenen Drüsen unter Lists spärlich behaartem Kinn befühlt hatte. Dann hatte sie zu dem Historiker hochgeschaut.
    In diesem Augenblick hatte Duiker sie erkannt – und sie ihn. Die Frau, die mir damals was zu essen angeboten hat.
    »Es sieht nicht gut aus«, hatte er gesagt.
    Sie hatte kurz gezögert und dann unter den Falten ihres Lederkleids ein knöchelgroßes, missgestaltetes Objekt herausgezogen, das in Duikers Augen wie ein Stück verschimmeltes Brot ausgesehen hatte. »Ein Scherz der Geister, kein Zweifel«, hatte sie auf malazanisch gesagt. Dann hatte sie sich vorgebeugt, Lists verletzten Fuß gepackt  – der ohne Verband der heißen,

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