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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Korbolo Dom warte. Dass ich auf das Ende warte. Was auch immer Coltaine vor sich sieht – ich kann es nicht mehr sehen, Historiker.«
    »Wirklich nicht?«, fragte Duiker und suchte den Blick seines Kameraden. »Seid Ihr denn sicher, Lull, dass er etwas anderes sieht als Ihr?«
    Auf den entstellten Gesichtszügen des Hauptmanns zeichnete sich langsam Bestürzung ab.
    »Ich fürchte«, fuhr Duiker langsam fort, »die Schweigsamkeit der Faust bedeutet nicht länger, dass Coltaine an einen Sieg glaubt.«
    »Dann passt sie immerhin zu Eurer eigenen zunehmenden Schweigsamkeit.«
    Der Historiker zuckte die Schultern. Ein ganzer Kontinent verfolgt uns. Wir hätten gar nicht so lange überleben dürfen. Weiter kann ich nicht mehr denken, und diese Wahrheit schwächt mich. All die Geschichtswerke, die ich gelesen habe … jedes eine intellektuelle Besessenheit vom Krieg, vom endlosen Neuzeichnen von Karten. Heldenhafte Angriffe und vernichtende Niederlagen. Wir alle sind nichts weiter als Strudel des Leidens in einem Fluss der Schmerzen. Beim Atem des Vermummten, alter Mann, deine Worte ermüden sogar dich selbst – wozu sie also noch anderen aufbürden?
    »Wir müssen aufhören nachzudenken«, sagte Lull. »Über den Punkt sind wir schon lange hinaus. Jetzt existieren wir nur noch. Seht Euch die Tiere da drüben an. Wir beide, Ihr und ich, wir sind genauso wie die da. Wir quälen uns im Sonnenlicht vorwärts, werden weiter und immer weiter auf unseren Schlachtplatz zugetrieben.«
    Duiker schüttelte den Kopf. »Es ist unser Fluch, dass wir die Wonnen der Geistlosigkeit nicht kennen, Hauptmann. Ich fürchte, dort, wo Ihr sucht, werdet Ihr keine Erlösung finden.«
    »Ich bin nicht an Erlösung interessiert«, erwiderte Lull grollend. »Nur an einem Weg, auf dem ich weitergehen kann.«
    Sie näherten sich der Kompanie des Hauptmanns. Inmitten der Infanterie der Siebten stand eine Gruppe recht willkürlich gerüsteter und bewaffneter Männer und Frauen, alles in allem vielleicht fünfzig Menschen. Erwartungsvolle Gesichter schauten Lull und Duiker entgegen.
    »Es ist Zeit, Hauptmann zu sein«, murmelte Lull fast unhörbar; seine Stimme klang dabei so mutlos, dass es den Historiker in der Seele schmerzte.
    Ein wartender Sergeant bellte den Befehl, Haltung anzunehmen, und die bunt zusammengewürfelte Truppe machte einen unbeholfenen, jedoch entschlossenen Versuch, diese Order zu befolgen. Lull betrachtete sie noch einen Augenblick, dann stieg er vom Pferd und trat auf die Truppe zu.
    »Vor sechs Monaten habt ihr vor Reinblütigen gekniet«, sagte er zu ihnen. »Ihr habt die Augen niedergeschlagen und hattet den Geschmack staubiger Fußböden im Mund. Ihr habt euren Rücken der Peitsche preisgegeben, und eure Welt hat aus hohen Mauern und miesen Bruchbuden bestanden – Bruchbuden, in denen ihr geschlafen und geliebt habt und in denen ihr eure Kinder zur Welt gebracht habt, auf die die gleiche Zukunft wartete. Vor sechs Monaten hätte ich auf die meisten von euch noch nicht mal einen Zinn-Jakata gesetzt.« Er machte eine Pause, nickte seinem Sergeanten zu.
    Soldaten der Siebten traten vor; jeder von ihnen trug eine zusammengelegte Uniform. Die Uniformen waren verwaschen, fleckig und hatten Flicken, wo Klingen den Stoff zerfetzt hatten. Auf jedem der Bündel lag eine eiserne Brosche. Duiker beugte sich im Sattel vor, um eine davon näher in Augenschein zu nehmen. Das Medaillon maß etwa vier Zoll im Durchmesser und bestand aus einem Kettenring, der an der Nachbildung eines Hundehalsbands befestigt war. Im Zentrum befand sich der Kopf eines Hirtenhunds, der – ohne die Zähne zu fletschen – mit verschleierten Augen vor sich hin starrte.
    Duiker krümmte sich innerlich und konnte es nur mit Mühe verbergen.
    »Letzte Nacht sind ein paar Repräsentanten des Rats der Adligen zu Coltaine gekommen«, sagte Hauptmann Lull. »Sie hatten eine Kiste voller Gold- und Silber-Jakatas dabei. Es scheint, als wären die Adligen es leid, ihr Essen selbst zu kochen, oder ihre Kleider selbst zu flicken … oder sich selbst den Hintern zu wischen – «
    Zu einem anderen Zeitpunkt hätte eine solche Bemerkung für düstere Blicke und leises Gemurmel gesorgt – ein weiterer Schlag ins Gesicht, wie es ein ganzes Leben lang schon unzählige andere gegeben hatte. Stattdessen lachten die ehemaligen Diener. Wie über die Streiche ihrer Kindheit. Aber sie sind keine Kinder mehr.
    Lull wartete, bis das Gelächter abgeebbt war. »Die Faust hat nichts

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