Im Bann der Wüste
trockenen Luft ausgesetzt war – und das Ding gegen die Wunde gepresst. Mit einem Lederstreifen hatte sie verhindert, dass es verrutschen konnte.
Ein Scherz, über den der Vermummte die Stirn runzeln wird.
»Du müsstest bald wieder Dienst tun können«, sagte Duiker jetzt.
List nickte, trat näher an Duiker heran. »Ich muss Euch etwas sagen, Herr«, sagte er leise. »Ich hatte Visionen … vom Fieber … Ich konnte sehen, was vor uns – «
»Das kommt manchmal vor.«
»Die Hand eines Gottes hat aus der Dunkelheit herausgegriffen, meine Seele gepackt und sie Tage … Wochen in die Zukunft gezogen. Historiker …«, List machte eine Pause und wischte sich den Schweiß von der Stirn, »das Land südlich des Vathar … wir nähern uns einem Ort alter Wahrheiten.«
Duiker kniff die Augen zusammen. »Ein Ort alter Wahrheiten? Was soll das bedeuten, List?«
»Dort ist etwas Schreckliches geschehen, Herr. Vor langer, langer Zeit. Die Erde … sie ist bar allen Lebens.«
Das wissen nur Sormo und der oberste Kommandostab. »Was war mit der Hand dieses Gottes, Korporal – hast du sie gesehen?«
»Nein, aber gefühlt. Die Finger waren lang – zu lang –, und sie hatten mehr Gelenke, als sie eigentlich haben sollten. Manchmal kommt diese Hand zurück – wie die eines Geistes –, und ich fange an, in ihrem eisigem Griff zu zittern.«
»Erinnerst du dich an das Gemetzel, das vor langer Zeit am Sekala stattgefunden hatte? Haben deine Visionen so ausgesehen, Korporal?«
List runzelte die Stirn, schüttelte dann den Kopf. »Nein, was jetzt vor uns liegt, ist viel älter, Historiker.«
Rufe ertönten, als der Treck daranging, sich wieder in Bewegung zu setzen. Sie würden die Imperiale Straße jetzt verlassen und dem Karawanenpfad folgen.
Duiker schaute über die von Felsbrocken übersäte Ebene im Süden. »Ich werde neben deiner Schlepptrage hergehen, Korporal«, sagte er. »Dann kannst du mir deine Visionen in allen Einzelheiten beschreiben.«
»Vielleicht sind sie nichts anderes als fiebrige Wahnvorstellungen, Historiker – «
»Aber das glaubst du nicht wirklich … und ich auch nicht.« Duikers Blicke schweiften noch immer über die Ebene. Eine Hand mit vielgelenkigen Fingern. Das war nicht die Hand eines Gottes, Korporal. Es war allerdings eine mit so viel Macht, dass es kein Wunder ist, dass du das geglaubt hast. Du bist – aus welchen Gründen auch immer – auserwählt, eine Vision der Alten zu sehen, mein Junge. Denn aus der Dunkelheit reckt sich die kalte Hand eines Jaghut.
Felisin saß auf einem Marmorblock, der von dem alten Tor heruntergefallen war; sie hatte die Arme um den Oberkörper geschlungen, den Blick auf den Boden zu ihren Füßen gerichtet und wiegte sich gleichmäßig vor und zurück. Die Bewegung schenkte ihren Gedanken Frieden, als wäre sie nichts anderes als ein mit Wasser gefülltes Gefäß.
Heboric und der hünenhafte Krieger stritten miteinander. Über sie, über Prophezeiungen und Pech, über die Verzweiflung von Fanatikern. Gegenseitige Verachtung wogte und brodelte zwischen den beiden Männern. Anscheinend war sie aufgeflammt, als sie sich das erste Mal begegnet waren, und wurde mit jedem Augenblick stärker.
Der andere Krieger – Leoman – hockte in der Nähe und schwieg genau wie sie. Vor sich hatte er das Heilige Buch von Dryjhna, bewachte es an ihrer statt; er wartete darauf, dass das geschehen würde, was seiner Meinung nach unausweichlich war: dass sie die Tatsache akzeptierte, die wieder geborene Sha’ik zu sein.
Wieder geboren. Erneuert. Das Herz der Apokalypse. Vom Handlosen in dem Augenblick überbracht, da die Göttin den Atem angehalten hat. Die Göttin, die immer noch wartet. So, wie Leoman wartet. Felisin, der Angelpunkt der Welt.
Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
Sie wiegte sich im Gleichklang mit fernen Schreien, den aus der Vergangenheit widerhallenden Echos unvermittelter, ihr in der Seele schmerzender Todesfälle – die jetzt plötzlich so weit weg schienen. Kulp, von einem brodelnden Berg Ratten verschlungen. Abgenagte Knochen und ein Schopf weißer, blutrot gesprenkelter Haare. Baudin, verbrannt in einem Feuer, das er selbst entzündet hatte – oh, was für eine Ironie. Er hat nach seinen eigenen Regeln gelebt und ist mit dem gleichen gottlosen Anspruch gestorben. Selbst, als er sein Leben für jemand anderen geopfert hat. Und er würde immer noch behaupten, dass er seinen Eid freiwillig geleistet hat.
Das sind die Dinge, die uns
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