Im Bann der Wüste
lange es eben dauert, bis das nächste Jahr von Dryjhna heraufdämmert …«
»Aber Pustl scheint diesem Aufstand viel Bedeutung beizumessen«, sagte Mappo. »Er ist noch lange nicht vorbei – zumindest scheint er das zu glauben.«
»Wie viele Götter und Aufgestiegene haben ihre Finger in diesem Spiel, Trell?« Fiedler war stehen geblieben; er schaute den alten Krieger nachdenklich an. »Ähnelt sie Sha’ik denn äußerlich?«
Mappo zuckte die gewaltigen Schultern. »Ich habe die Seherin des Wirbelwinds nur ein einziges Mal gesehen, und das aus einiger Entfernung. Sie war hellhäutig für eine, die im Reich der Sieben Städte geboren wurde. Dunkle Augen. Nicht besonders groß oder sonst wie beeindruckend. Man erzählt sich, dass ihre Macht in ihren Augen liegt – oder besser lag. Dunkle, grausame Augen.« Er zuckte erneut die Schultern. »Sie war älter als Apsalar, vielleicht doppelt so alt. Das gleiche schwarze Haar. Einzelheiten sind unbedeutend, wenn es um den Glauben und die dazugehörigen Prophezeiungen geht, Fiedler. Vielleicht muss nur die Rolle wiedergeboren werden.«
»Das Mädchen hat kein Interesse daran, sich am malazanischen Imperium zu rächen«, knurrte der Sappeur und begann wieder auf und ab zu schreiten.
»Und was ist mit dem Gott des Schattens, der früher von ihr Besitz ergriffen hatte?«
»Der ist weg«, schnappte Fiedler. »Und er hat nur ein paar Erinnerungen zurückgelassen; glücklicherweise sehr wenige.«
»Aber jeden Tag entdeckt sie ein paar neue. Stimmt’s?«
Fiedler sagte nichts. Wenn Crokus da gewesen wäre, hätte sein Zorn die Wände erzittern lassen – der Bursche hatte ein aufbrausendes Temperament, wenn es um Apsalar ging. Crokus war jung und von Natur aus alles andere als grausam, doch der Sappeur war sich sicher, dass der Bursche Iskaral Pustl ohne Zögern töten würde, wenn auch nur die Möglichkeit bestand, dass der Hohepriester Apsalar benutzen wollte. Und der Versuch, Pustl zu töten, könnte sich sehr wohl als selbstmörderisch erweisen. Einem Priester in seinem Heim die Stirn zu bieten, war niemals ein besonders kluger Schachzug.
Das Mädchen entdeckte von Tag zu Tag mehr Erinnerungen, das stimmte. Und sie entsetzten sie längst nicht so sehr, wie Fiedler es erwartet – oder gehofft – hatte. Noch ein beunruhigendes Zeichen. Der Sappeur hatte zwar zu Mappo gesagt, dass Apsalar sich weigern würde, eine solche Rolle zu übernehmen, doch zumindest sich selbst musste er eingestehen, dass er sich dessen eigentlich gar nicht so sicher sein konnte.
Denn mit den anderen Erinnerungen kam auch die Erinnerung an Macht. Und seien wir ehrlich; es gibt auf dieser Welt – wie wahrscheinlich auch auf allen anderen Welten – nur wenige, die dem Versprechen von Macht einfach den Rücken kehren würden. Iskaral Pustl wusste das bestimmt, und dieses Wissen würde jedes Angebot beeinflussen, das er machte. Nimm diese Rolle an, Mädchen, und du kannst ein Imperium ins Wanken bringen …
»Natürlich …«, begann Mappo langsam, lehnte sich gegen die Wand und seufzte, »… können wir auch auf einer ganz falschen …«, er setzte sich wieder aufrecht hin und zog stirnrunzelnd die Brauen zusammen, »… Fährte sein.«
Fiedler starrte den Trell aus zusammengekniffenen Augen an. »Was meint Ihr damit?«
»Der Pfad der Hände. Die Konvergenz der Wechselgänger und Gestaltwandler. Pustl hat irgendwas damit zu tun.«
»Das müsst Ihr mir ein bisschen genauer erklären.«
Mappo deutete mit einem derben Finger auf die Fliesen unter ihren Füßen. »Auf der untersten Ebene dieses Tempels gibt es einen Raum. Sein Fußboden – Steinplatten – weist eine Reihe von eingemeißelten Zeichnungen auf. Das Ganze sieht beinahe so aus wie Drachenkarten. Weder Icarium noch ich haben so etwas je zuvor schon einmal gesehen. Wenn es wirklich ein Spiel sein sollte, dann ist es eine ältere Version. Nicht mit Häusern, sondern mit Festungen; die Kräfte sind elementarer, roher und primitiver.«
»Und was hat das mit Gestaltwandeln zu tun?«
»Man kann die Vergangenheit als eine Art vermodertes altes Buch betrachten. Je näher man dem Anfang kommt, desto brüchiger werden die Seiten. Sie zerfallen einem buchstäblich unter den Händen, und es bleibt einem nichts als eine Hand voll Worte – die meisten davon in einer Sprache, die man noch nicht einmal verstehen kann.« Mappo schloss einen Moment lang die Augen, dann schaute er auf und fuhr fort: »Irgendwo in diesen einzelnen Worten liegt
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