Im Bann der Wüste
eigentlich auf die gleiche Weise, Korporal? Neigst dich erst in die eine Richtung, dann in die andere?«
»Ich wäge nur die Dinge gegeneinander ab, Herr.«
»Was haben dir deine Visionen über diesen Fluss verraten?«
List wirkte plötzlich angespannt. »Er ist eine Grenze, Herr. Dahinter liegt die Vergangenheit.«
»Und was ist mit den Steinkreisen auf diesem Hügel hier?«
Der Korporal zuckte zusammen, schaute zu Boden. »Beim Atem des Vermummten«, murmelte er leise vor sich hin, dann blickte er dem Historiker in die Augen.
Duiker brachte ein Grinsen zu Stande und packte seine Zügel. »Ich sehe, der Tollhund-Clan macht sich bereit. Sie sollen nicht auf uns warten müssen.«
Von dort, wo sich die Vorhut aufhielt, hallte ein lautes helles Kläffen durch die Luft, und als der Historiker hinüberschlenderte, um sich zu den versammelten Offizieren zu gesellen, entdeckte er zu seinem Erstaunen unter den Hirtenhunden einen kleinen, langhaarigen Schoßhund, dessen einst perfekt gepflegtes Fell jetzt ein einziges Durcheinander aus Knäueln und Knoten war.
»Ich hatte angenommen, die Ratte da hätte schon vor langer Zeit den Magen eines Hirtenhundes von innen gesehen«, sagte Duiker.
»Ich wollte, es wäre so«, sagte List. »Dieses Gekläff tut einem in den Ohren weh. Schaut Euch den Kläffer nur an, er stolziert herum, als würde er die Meute anführen.«
»Vielleicht tut er das ja auch. Posen haben immer eine Wirkung, die man niemals unterschätzen sollte, Korporal.«
Coltaine zog sein Pferd herum, als er sie kommen sah. »Historiker. Ich habe wieder einmal nach dem Hauptmann der Kompanie der Pioniere schicken lassen. Ich fange allmählich an zu glauben, dass dieser Mann überhaupt nicht existiert – sagt mir, habt Ihr ihn gesehen?«
Duiker schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nein, obwohl man mir versichert hat, er wäre noch am Leben, Faust.«
»Wer hat Euch das gesagt?«
Der Historiker runzelte die Stirn. »Ich … ich kann mich tatsächlich beim besten Willen nicht daran erinnern.«
»Genau! Es kommt mir so vor, als ob die Sappeure gar keinen Hauptmann haben, und als ob sie auch gar keinen wollen.«
»Das wäre eine ziemlich komplizierte Täuschung – vor allem, wenn man bedenkt, wie lange sie sie dann schon aufrechterhalten müssen, Faust.«
»Habt Ihr das Gefühl, dass sie dazu nicht fähig sind?«
»Oh, nein, Faust, das ganz bestimmt nicht.«
Coltaine wartete, doch der Historiker hatte in dieser Angelegenheit nichts mehr zu sagen; nach einem kurzen Augenblick seufzte die Faust. »Ihr werdet mit den Kriegern des Tollhund-Clans reiten?«
»Jawohl, Faust. Ich möchte allerdings darum bitten, dass Korporal List hier bei der Hauptstreitmacht bleibt – «
»Aber, Herr – «
»Ich will kein Wort mehr von dir hören, Korporal«, sagte Duiker. »Faust, er ist alles andere als gesund.«
Coltaine nickte.
Bults Pferd drängte sich zwischen die Faust und den Historiker. Die Lanze des Veteranen zuckte aus seiner Hand, schoss schemenhaft ins hohe Gras, das die Karawanenroute säumte. Der kläffende Schoßhund ließ ein schrilles erschrockenes Winseln hören und rannte davon; er hüpfte dabei auf und ab wie ein zerfetzter Ball aus Schlamm und Stroh »Beim Fluch des Vermummten!«, knurrte Bult wütend. »Schon wieder daneben!«
»Kein Wunder, dass er niemals Ruhe gibt«, bemerkte Coltaine, »wenn du jeden Tag versuchst, ihn zu töten.«
»Ihr seid von einem Schoßhund niedergeschrien worden, Onkel?«, fragte Duiker und zog die Augenbrauen hoch.
»Seid vorsichtig, alter Mann«, antwortete der narbige Wickaner.
»Es ist Zeit, dass Ihr losreitet«, sagte Coltaine zu Duiker. Dann blickte er an ihm vorbei, und seine Augen leuchteten auf. Der Historiker drehte sich um und erblickte Neder. Sie war bleich und schien sich in sich selbst zurückgezogen zu haben. In ihren dunklen Augen spiegelte sich noch immer grausame Pein, doch sie saß aufrecht im Sattel. Ihre Hände waren schwarz – überall, selbst unter den Fingernägeln –, als hätte sie sie in Pech getaucht.
Trauer stieg in dem Historiker auf, und er musste den Blick abwenden.
Die Schmetterlinge erhoben sich in einer wirbelnden Wolke von dem Pfad, als die Reiter den Waldrand erreichten. Pferde bäumten sich auf; einige gerieten ins Stolpern, als sie von den nachfolgenden Tieren angestoßen wurden, und was noch einen Augenblick zuvor eine Szene von unirdischer Schönheit gewesen war, drohte jetzt zu einem fürchterlichen Durcheinander
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