Im Bann der Wüste
Euren Bericht über die Kette der Hunde zu lesen, alter Mann. Zu dumm, dass ich nicht gesehen habe, dass Ihr Gesler eine Truhe mit Schriftrollen mitgegeben hattet.«
Duiker mühte sich auf die Beine. »Sieht so aus, als ob heute Nacht niemand Händchen halten will.«
»Vielleicht habt Ihr morgen mehr Glück.«
»Vielleicht.«
»Hab gedacht, Ihr hättet ’ne Frau gefunden. Diese Seesoldatin – wie war noch gleich ihr Name?«
»Ich weiß es nicht. Wir haben eine Nacht miteinander verbracht …«
»Ah, dann war das Schwert wohl ein bisschen zu klein, was?«
Duiker lächelte. »Wir haben beschlossen, dass es keinen Sinn hätte, diese Nacht zu wiederholen. Wir haben beide auch so schon genug verloren …«
»Dann seid ihr beide Narren.«
»Ich glaube, das sind wir.«
Duiker ging durch das ruhelose, schlaflose Lager. Er hörte nur wenige Gespräche, doch ringsum grollte eine düstere Ahnung. Es war ein Geräusch, das nur seine Knochen hören konnten.
Er fand Coltaine vor seinem Kommandozelt; er besprach sich gerade mit Sormo, Nil und Neder. Die rechte Hand der Faust war noch immer geschwollen und schillerte in allen Farben; sein blasses, schweißnasses Gesicht verriet den Schock beschleunigter Heilung.
Sormo wandte sich an den Historiker. »Wo ist Korporal List?«
Duiker blinzelte. »Ich weiß es nicht genau. Warum?«
»Er hat Visionen.«
»Stimmt.«
Das hagere Gesicht des Waerloga verzog sich zu einer Grimasse. »Wir können nichts von dem spüren, was da vor uns liegt. Ein Land, das so leer ist, ist unnatürlich, Historiker. Es ist gesäubert, seine Seele zerstört worden. Wie?«
»List sagt, dass es einst einen Krieg gegeben hat, draußen auf der Ebene jenseits des Waldes. Das liegt so lange zurück, dass jede Erinnerung daran verschwunden ist. Doch ein Echo ist übrig geblieben, das im felsigen Untergrund selbst haust.«
»Wer hat in diesem Krieg gekämpft, Historiker?«
»Ich fürchte, das muss ihm erst noch offenbart werden. Ein Geist führt List in seinen Träumen, doch was er letztlich wirklich enthüllen wird …« Duiker zögerte, seufzte. »Es ist der Geist eines Jaghut.«
Coltaine schaute nach Osten; er schien den heller werdenden Horizont zu mustern.
»Faust«, sagte Duiker nach einem Augenblick. »Korbolo Dom – «
Ganz in der Nähe gab es einen Tumult. Sie drehten sich um und sahen einen Adligen auf sie zugerannt kommen. Der Historiker runzelte die Stirn, dann jedoch erinnerte er sich wieder. »Tumlit – «
Der alte Mann, der wild blinzelte, während er jedes Gesicht musterte, blieb schließlich vor Coltaine stehen. »Ein höchst schreckliches Vorkommnis, Faust«, brachte er mit seiner zittrigen Stimme keuchend heraus.
Erst jetzt bemerkte Duiker die Unruhe, die vom Lager der Flüchtlinge ausging, das sich an der Karawanenroute entlangzog. »Tumlit, was ist geschehen?«
»Ich fürchte … es war ein weiterer Unterhändler da. Er ist irgendwie heimlich durchgeschleust worden und hat sich mit dem Rat getroffen – ich habe versucht, sie davon abzubringen, aber leider erfolglos. Pullyk und Nethpara haben die anderen überredet. Die Flüchtlinge werden den Fluss überqueren, Faust, unter dem gütigen Schutz von Korbolo Dom – «
Coltaine wirbelte zu den Waerlogas herum. »Zu euren Clans. Schickt Bult und die Hauptleute zu mir.«
Rufe ertönten jetzt von den Wickanern auf der Lichtung, als die Masse der Flüchtlinge vorwärts stürmte und weiter in Richtung Furt drängte. Die Faust schnappte sich einen in der Nähe stehenden Soldaten. »Die Kriegshäuptlinge der Clans sollen ihre Krieger vom Pfad abziehen – das können wir nicht aufhalten.«
Er hat Recht – wir sind nicht in der Lage, diese Narren aufzuhalten.
Bult und die Hauptleute kamen herbeigeeilt, und Coltaine erteilte seine Befehle. Ihr Wortlaut machte Duiker klar, dass die Faust das Schlimmste befürchtete. Als die Offiziere losrannten, wandte Coltaine sich an den Historiker.
»Geht zu den Sappeuren. Auf meinen Befehl sollen sie sich dem Flüchtlingszug anschließen, aber vorher alle Abzeichen und Uniformteile durch zivile Kleidung ersetzen – «
»Das wird nicht nötig sein, Faust – sie tragen sowieso alle eine Mischung aus Fetzen und erbeuteter Ausrüstung. Aber ich werde dafür sorgen, dass sie ihre Helme an die Gürtel binden.«
»Dann geht.«
Duiker machte sich auf. Der Himmel wurde allmählich heller, und mit dem heraufziehenden Schein rührten sich die Schmetterlinge auf allen Seiten, ein schweigendes
Weitere Kostenlose Bücher