Im Bann der Wüste
Schimmern, das den Historiker erschauern ließ, obwohl es keinen offensichtlichen Grund dafür gab. Er suchte sich seinen Weg den brodelnden Treck aufwärts, umging eine Ecke und schob sich zwischen Gruppen von Fußsoldaten hindurch, die mit ausdruckslosen Gesichtern am Wegesrand standen und dem Zug der Flüchtlinge zusahen.
Er erspähte einen unordentlichen Haufen von Soldaten, die ein ganzes Stück vom Pfad zurückgesetzt lagerten, fast schon am Rand der flankierenden Palisadenreihe. Die Kompanie ignorierte die Flüchtlinge und schien damit beschäftigt, Seile aufzuwickeln. Ein paar blickten auf, als Duiker zu ihnen trat.
»Coltaine gibt den Befehl, dass ihr euch unter die Flüchtlinge mischen sollt«, sagte der Historiker. »Keine Diskussionen – nehmt eure Helme ab und dann – «
»Wer diskutiert denn hier?«, murmelte ein vierschrötiger Soldat.
»Was habt ihr mit den Seilen vor?«, wollte Duiker wissen.
Der Sappeur blickte auf; seine Augen waren nur schmale Schlitze in seinem breiten, zerschlagenen Gesicht. »Wir haben ein bisschen auf eigene Faust gekundschaftet, alter Mann. Nun, wenn Ihr endlich den Mund halten würdet, könnten wir uns fertig machen, stimmt’s?«
Am Waldrand tauchten drei Soldaten auf, die im Dauerlauf herankamen. Einer von ihnen hielt einen abgeschlagenen Kopf, von dem noch das Blut tropfte, an seinem Zopf. »Der hier hat das letzte Mal während seiner Wache ein Nickerchen gemacht«, stellte der Mann fest und ließ seine Trophäe fallen, die mit einem dumpfen Geräusch zu Boden fiel und noch ein Stück weiter rollte. Niemand sonst schenkte der Szene Beachtung, und auch die drei Sappeure machten niemandem Meldung.
Die ganze Kompanie schien gleichzeitig mit ihren Vorbereitungen fertig zu werden; Seile waren um die Schulter geschlungen, die Helme am Gürtel befestigt, die Armbrüste bereit und unter weiten Regenumhängen oder Telaban verborgen. Schweigend standen sie auf und machten sich auf den Weg, dorthin wo sich die Masse der Flüchtlinge drängte.
Duiker zögerte. Er drehte sich um und warf einen Blick zur Furt hinunter. Die Spitze der Kolonne aus Flüchtlingen war bereits im Wasser, das sich als hüfthoch erwies; die Furt war mindestens vierzig Schritt breit, und der Grund bestand aus dickem, klebrigem Schlamm. Schmetterlinge schwärmten über den Menschenmassen, blitzten in der Sonne blassgelb auf. Ein Dutzend wickanische Reiter waren vorausgeschickt worden, um die Marschkolonne zu führen. Hinter ihnen kamen die Wagen mit den Adligen – die einzigen Flüchtlinge, die trocken und von dem chaotischen Tumult verschont blieben. Der Historiker musterte den dahinziehenden Treck, um die Sappeure zu entdecken, doch sie waren nirgends zu sehen, waren völlig von der Menschenmenge verschluckt. Von einer Stelle, die ein Stück weiter oberhalb des Karawanenpfads lag, kam das schreckliche Gebrüll des Viehs, das geschlachtet wurde.
Die Fußsoldaten an den Flanken machten ihre Waffen bereit – Coltaine erwartete ganz eindeutig, dass die Nachhut die Überquerung würde verteidigen müssen.
Noch immer zögerte der Historiker. Wenn er sich unter die Flüchtlinge mischte und es zum Schlimmsten kommen sollte, würde die entstehende Panik genauso tödliche Folgen haben wie jedes Gemetzel, das Korbolo Doms Streitkräfte anrichten konnten. Beim Atem des Vermummten! Jetzt sind wir tatsächlich von der Gnade dieses Bastards abhängig.
Eine Hand schloss sich um seinen Arm. Als er herumwirbelte, sah er sich der namenlosen Seesoldatin gegenüber.
»Komm mit«, sagte sie. »Mitten rein in die Meute – wir sollen die Sappeure unterstützen.«
»Wobei? Bis jetzt ist den Flüchtlingen noch nichts geschehen – und sie sind fast schon halb drüben – «
»Stimmt, und schau, wie sie die Köpfe drehen, um flussabwärts zu sehen. Die Rebellen haben eine Schwimmbrücke gebaut – nein, du kannst sie von hier aus nicht sehen, aber sie ist da, gespickt mit Pikenieren.«
»Mit Pikenieren? Was tun sie?«
»Sie sehen zu. Und warten. Komm, mein Geliebter einer Nacht, der Albtraum wird gleich beginnen.«
Sie gesellten sich zur Masse der Flüchtlinge, wurden ein Teil des Stroms aus Menschen, der sich der Furt entgegenwälzte. Ein plötzlicher Aufschrei und gedämpftes Waffengeklirr zeigten, dass die Nachhut angegriffen worden war. Die Woge aus Menschenleibern wurde schneller. Inmitten des chaotischen Gedränges eingeklemmt, konnte Duiker wenig von dem sehen, was sich an den Seiten oder hinter ihm
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