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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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ersten Sichtkontakt mit ihrer Beute.
    Kalam öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ein Ruf des Ersten Offiziers stoppte ihn.
    »Ein Strich Backbord, Kapitän! Beim Atem des Vermummten, gleich haben wir sie!«
    Das Piratenschiff, ein niedriges, einmastiges Kaperschiff, das in dem Dämmerlicht kaum zu sehen war, war weniger als hundert Schritte entfernt und hielt einen Kurs, der sich direkt vor der Lumpenpfropf mit dem ihren kreuzen würde. Die Positionierung war atemberaubend perfekt.
    »Alle Mann fertig machen zum Rammen!«, bellte der Kapitän durch das Geheul des Sturms.
    Der Erste Offizier schoss nach vorn, brüllte seinen Leuten Befehle zu. Kalam sah, dass die Seesoldaten sich ganz flach hinkauerten und sich auf den Aufprall vorbereiteten. Von dem Piratenschiff klangen schwache Schreie herüber. Das sturmfest gemachte, straff angezogene quadratische Segel bauschte sich plötzlich, und der Bug des Schiffs tauchte weg, als die Piraten einen letzen, zum Scheitern verurteilten Versuch unternahmen, den Zusammenstoß zu vermeiden.
    Die Götter grinsten auf die Szene herab, doch es war das erstarrte Grinsen auf dem Gesicht eines Toten. Im letzten Moment vor dem Aufprall hob eine Woge die Lumpenpfropf in die Höhe und ließ das Handelsschiff kurz hinter dem zugespitzten Bug von oben auf das niedrige Dollbord des Kaperschiffs krachen. Holz barst, zersplitterte und bebte. Kalam wurde nach vorn gerissen. Er verlor seinen Halt an der Steuerbordseite der Heckreling, wurde vom Achterdeck geschleudert, knallte mit eingezogenen Schultern aufs Hauptdeck und rollte vom Schwung vorwärts getragen noch ein Stück weiter.
    Irgendwo über ihm knackten Masten, Segel hingen wie Geisterflügel in der regendurchzogenen Luft.
    Die Lumpenpfropf kam zur Ruhe; sie knirschte und knackte und legte sich schwer auf die Seite. Matrosen schrien überall, doch von dort, wo Kalam lag, konnte er nicht erkennen, was geschah. Ächzend mühte er sich auf die Beine. Die letzten Seesoldaten sprangen über die Backbordreling des Vorderdecks hinunter außer Sicht – höchstwahrscheinlich auf das Deck des Kaperschiffs. Oder zumindest auf das, was davon noch übrig ist. Der heulende Wind dämpfte das Waffengeklirr.
    Der Assassine drehte sich um, doch der Kapitän war nirgends zu sehen. Es war auch niemand an der Ruderpinne. Auf dem Achterdeck lagen Segelfetzen, Tauwerk und die Überreste einer abgebrochenen Spiere herum.
    Kalam machte sich auf den Weg nach achtern.
    Die ineinander verkeilten Schiffe waren steuerlos. Wellen schlugen an Steuerbord gegen den Rumpf der Lumpenpfropf, jagten Gischtfahnen über das Hauptdeck. Ein Mann lag im Wasser, mit dem Gesicht nach unten; er blutete, und das Blut verteilte sich wie Spinnenfäden im hin und her schwappenden Wasser.
    Kalam drehte den Mann auf den Rücken. Es war der Erste Offizier; sein Schädel war eingeschlagen. Das Blut lief ihm aus der Nase und Kehle; das Wasser hatte die tödliche Wunde ausgewaschen, und der Assassine starrte den Leichnam wohl ein halbes Dutzend Herzschläge lang an, ehe er sich erhob und über den Toten hinwegstieg.
    Sie sind wohl doch nicht ganz so seekrank.
    Er kletterte zum Achterdeck hinauf und begann, die umherliegenden Teile zu durchwühlen. Der Mann an der Ruderpinne hatte den größten Teil seines Kopfes verloren, und nur ein paar dünne Fäden aus Haut und Sehnen verbanden das, was noch davon übrig war, noch mit seinem Körper. Kalam untersuchte die Stelle im Nacken, wo der Kopf vom Rumpf getrennt worden war.
    Ein Zweihandhieb; er hat einen Schritt hinter ihm und etwas nach links versetzt gestanden. Die Spiere hat nur noch einen Toten durchbohrt.
    Unter dem Segel fand er den Kapitän und einen der Leibwächter. Holzsplitter ragten aus Kehle und Brust des riesigen Stammeskriegers. Er hielt noch immer seinen zweihändigen Tulwar umklammert. Der Kapitän hatte die Hände um die Spitze der Klinge geschlossen; sie sahen fürchterlich aus – ihr Blut vermischte sich mit dem über das Deck wirbelnden Meerwasser. Seine Stirn war ein einziger, dunkel verfärbter Fleck –  eine gewaltige Prellung –, doch sein Atem ging gleichmäßig.
    Kalam löste die Finger des Kapitäns von der Tulwar-Klinge und zog den Mann aus dem Durcheinander.
    Zur gleichen Zeit kam die Lumpenpfropf von dem Kaperschiff frei, sackte tief in ein Wellental ab und neigte sich stark zur Seite, als die Wogen gegen ihren Rumpf brandeten. Gestalten erschienen auf dem Achterdeck. Eine von ihnen übernahm die

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