Im Bann der Wüste
»Alles, was wir jetzt noch brauchen, sind Flügel.«
»Ich werde wohl noch einmal sehr nützlich sein«, sagte Heboric, während er grinsend einen Schritt nach vorn machte und an ihre Seite trat.
Kulps Kopf zuckte herum. »Was meinst du damit?«
»Bindet euch auf meinem Rücken fest – alle beide. Dieser Bursche hier hat ein Paar Hände, und er kann sie benutzen, und dieses eine Mal wird meine Blindheit sich als Segen erweisen.«
Kulp spähte die Klippe hinab. »Du willst hier runter klettern? Es ist bröckeliger Fels, alter Mann …«
»Aber nicht die Handgriffe, die ich finden werde, Magier. Davon einmal abgesehen – was habt ihr denn für eine Wahl?«
»Oh, ich kann es kaum noch erwarten«, sagte Felisin.
»In Ordnung, aber ich werde mein Gewirr öffnen«, sagte Kulp. »Wir werden zwar genauso tief fallen, aber die Landung wird weicher sein. Ich glaube zwar nicht, dass der Unterschied besonders groß sein wird, aber zumindest haben wir eine Chance.«
»Du hast kein Vertrauen!«, schrie Heboric; er verzog das Gesicht, während er versuchte, schallendes Gelächter zu unterdrücken.
»Vielen Dank auch«, sagte Felisin. Wie weit müssen wir noch getrieben werden? Wir schlittern nicht in den Wahnsinn hinein, wir werden geschubst, gezerrt und hineingezogen.
Etwas legte sich warm und fest auf ihre Schulter. Sie drehte sich um. Heboric hatte ihr eine unsichtbare Hand auf die Schulter gelegt – sie konnte nichts sehen, doch der dünne Stoff ihres Hemdes wurde zusammengepresst und allmählich dunkel von Schweiß. Sie konnte das Gewicht spüren. Er beugte sich nah zu ihr heran. »Die Raraku formt alle neu, die zu ihr kommen. Das ist eine Wahrheit, an die du dich halten kannst. Was du einmal warst, fällt von dir ab, und aus dir wird etwas anderes.« Sein Lächeln wurde breiter, als sie geringschätzig schnaubte. »Stimmt, die Geschenke der Raraku sind grausam«, sagte er, und seine Stimme klang mitfühlend.
Kulp versuchte, zwei Tragegeschirre zusammenzuknoten. »Diese Lederstreifen fangen an zu verrotten«, stellte er fest.
Heboric drehte sich zu ihm um. »Dann musst du dich gut festhalten.«
»Das ist doch Wahnsinn.«
Das habe ich auch schon gesagt.
»Möchtest du lieber auf die Vielwandler und Wechselgänger warten?«
Der Magier machte ein finsteres Gesicht.
Heborics Körper fühlte sich an, als bestünde er aus knorrigen Baumwurzeln. Felisin klammerte sich mit zitternden Muskeln an ihn; sie hatte kein Vertrauen in die stark beanspruchten Lederstreifen. Ihr Blick war starr auf die Handgelenke des Ex-Priesters gerichtet – die unsichtbaren Hände selbst waren in die Felsoberfläche eingetaucht –, während sie unter sich seine Füße wieder und wieder auf der Suche nach einem Halt über den Fels scharren hörte. Der alte Mann trug das Gewicht von ihnen dreien nur mit seinen Händen und Armen. Die zerfressene Klippe war in den roten Schein der untergehenden Sonne getaucht. Als würden wir in einen Kessel voller Feuer hinuntersteigen, in irgendeine dämonische Sphäre. Dies ist eine Reise, die nur in eine Richtung geht – die Raraku wird uns verschlingen. Der Sand wird alles begraben – den Traum von Rache, alle Wünsche, alle Hoffnungen. Wir werden alle hier in dieser Wüste ertrinken.
Der Wind klatschte sie gegen die Oberfläche der Klippe, dann schleuderte er ihnen Sand ins Gesicht und zerrte an ihnen, als wollte er sie wegreißen. Sie waren wieder im Wirbelwind. Kulp rief etwas, doch es war in dem Brüllen des Sturms nicht zu verstehen. Felisin spürte, wie sie weggezogen und von dem rasenden, hungrigen Wind fast waagrecht angehoben wurde. Sie legte einen Arm um Heborics rechte Schulter.
Ihre Muskeln begannen vor Anstrengung zu zittern, ihre Gelenke brannten wie Feuer. Sie spürte, wie die Lederstreifen des Tragegeschirrs sich um sie strafften, als sie allmählich, unaufhaltsam, immer mehr von ihrem Gewicht tragen mussten. Es ist hoffnungslos. Die Götter machen sich bei jeder Gelegenheit über uns lustig.
Heboric kletterte immer weiter nach unten, dem Herzen des Mahlstroms entgegen.
Aus einer Entfernung von einigen wenigen Zoll schaute Felisin zu, wie der aufgewirbelte Sand die Haut über ihrem Ellenbogengelenk abzuscheuern begann. Das Gefühl war so ähnlich, als ob eine Katze mit ihrer rauen Zunge darüber lecken würde, doch die Haut schälte sich und verschwand.
Ihre Beine und ihr Körper wurden vom Wind getragen, und überall spürte sie das scheußliche Raspeln der Zunge des
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