Im Bann der Wüste
Längen werden wir kein einziges freundliches Gesicht finden – ganz davon abgesehen, dass wir sowieso niemals so weit kommen werden.«
»Und die Gesichter, die uns näher sind, sind noch nicht einmal menschlich«, fügte Heboric hinzu. »Jede Maske wird enthüllt, und wie ihr wisst, hat die Gegenwart von Vielwandlern und Wechselgängern nichts mit dem Wirbelwind zu tun. Es ist alles ein tragischer Zufall – das Jahr von Dryjhna und diese unheilige Konvergenz – «
»Wenn du das tatsächlich glaubst, bist du ein Narr«, entgegnete Kulp. »Das Zusammentreffen dieser Ereignisse ist alles andere als zufällig. Ich habe so das Gefühl, als ob irgendjemand die Gestaltwandler erst auf diese Konvergenz angesetzt hat, und dass dieser jemand gerade auf Grund des Aufstands gehandelt hat. Oder aber es war andersrum – die Göttin des Wirbelwindes hat die Prophezeiung gelenkt, um sicherzustellen, dass genau jetzt das Jahr von Dryjhna ist, das gleiche Jahr, in dem die Konvergenz stattfindet, weil sie ein Interesse daran hat, für Chaos in den Gewirren zu sorgen.«
»Das sind interessante Bemerkungen, Magier«, sagte Heboric und nickte langsam. »Und es ist nur natürlich, dass sie von einem kommen, der Meanas benutzt, wo die Falschheit blüht wie Unkraut in einem Blumenbeet.«
Felisin stand schweigend da und beobachtete die beiden Männer. Ein Teil des Gesprächs findet an der Oberfläche statt, doch es gibt auch noch einen verborgenen Teil. Der Priester und der Magier spielen ein Spiel, und Wissen und Vermutungen vermischen sich. Heboric kann ein Muster erkennen, die geisterhaften Leben, die er geraubt hat, haben ihm das gegeben, was er gebraucht hat, und ich glaube, er versucht, Kulp mitzuteilen dass der Magier jenem Muster sehr viel näher ist, als er selbst es sich vorstellt. »Komm, der du auf Meanas Einfluss hast, nimm meine unsichtbare Hand …«
Felisin hatte plötzlich genug. »Was weißt du, Heboric?«
Der blinde Mann zuckte die Schultern.
»Was kümmert es dich, Schätzchen?«, fragte Kulp grollend. »Du hast gerade vorgeschlagen, dass wir uns ergeben sollen – sollen uns doch die Gestaltwandler holen, wir sind ja sowieso schon tot.«
»Ich habe gefragt: Warum sollen wir weiterkämpfen? Warum sollen wir hier weggehen? Draußen in der Wüste haben wir nicht die geringste Chance.«
»Dann bleib doch hier!«, schnappte Kulp, während er aufstand. »Der Vermummte weiß, dass du nichts Nützliches anzubieten hast.«
»Ich habe gehört, dass schon ein Biss genügt.«
Der Magier stand einen Augenblick vollkommen reglos, dann drehte er sich langsam zu ihr um. »Du hast etwas Falsches gehört. Aber ich vermute, dass diese Art der Unwissenheit weit verbreitet ist. Ein Biss kann dich vergiften, kann ein Fieber übertragen, das in regelmäßigen Abständen wiederkehrt und den Wahnsinn mit sich bringt, aber du wirst davon noch lange keine Gestaltwandlerin.«
»Tatsächlich? Wie werden sie denn dann geschaffen?«
»Sie werden nicht geschaffen. Sie werden geboren.«
Heboric rappelte sich auf. »Wenn wir schon durch diese tote Stadt marschieren müssen, sollten wir das jetzt gleich tun. Die Stimmen sind verstummt, und mein Verstand ist wieder klar.«
»Und was macht das für einen Unterschied?«, wollte Felisin wissen.
»Ich kann uns auf dem kürzesten Weg führen, Schätzchen. Sonst irren wir so lange hier herum, bis die, die uns jagen, schließlich auch hier sind.«
Sie tranken ein letztes Mal aus dem Teich und sammelten so viele von den farblosen Früchten, wie sie tragen konnten. Felisin musste im Stillen zugeben, dass sie sich auf eine Art gesund – ja, sogar heil – fühlte, wie sie es schon ziemlich lange nicht mehr getan hatte. Es war, als wären die Erinnerungen nicht länger offene, schwärende Wunden, sondern nur noch Narben. Doch ihre Stimmung blieb gedrückt. Sie hatte jede Hoffnung verloren.
Heboric führte sie geschwind gewundene Straßen und Gassen entlang und durch Wohnhäuser und Gebäude. Wo sie auch hinkamen, stolperten sie über Leichen – Menschen, Gestaltwandler, T’lan Imass, die uralten Überreste einer wilden Schlacht. Heborics geplündertes Wissen logierte in Felisins Verstand, ein Zittern uralten Entsetzens, das jede neue Szenerie des Todes, in die sie hineinstolperten, tief in ihrem Innern widerhallen ließ. Sie spürte, dass sie kurz davor war, eine grundlegende Wahrheit zu begreifen, um die das menschliche Streben seit dem Anbeginn des Daseins kreiste. Wir tun nichts anderes,
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