Im Bann des Milliardaers
fragte die Schwester neugierig und drückte den Liftknopf.
Die Frage machte Fleur jäh klar, wie unangebracht ihr Schritt war. Sie mochte zufällig etwas über die angespannte Beziehung zwischen Antonio Rochas und seiner Tochter in Erfahrung gebracht haben, das änderte nichts daran, dass sie eine Fremde war.
Eine Fremde, die der Vater der Patientin geküsst hatte.
Fleur wählte ihre Worte mit Bedacht, wohl wissend, dass so Gerüchte ihren Anfang nahmen. „Nur eine Nachbarin. Ich kenne die Rochas kaum.“ Welche Reaktion wohl erfolgen würde, falls sie beschrieb, dass ihre Lippen noch immer von dem Kuss prickelten?
„Natürlich.“
„Doch, ehrlich“, wehrte Fleur das verschwörerische Zwinkern entschlossen ab.
Die Schwester blickte regelrecht enttäuscht drein. „Wirklich? Wir dachten, Sie und er …“
„So?“ Fleur zog eine Grimasse. „Was meinen Sie, wie wahrscheinlich ist das wohl?“
Die junge Schwester musterte Fleur abschätzend, wie sie da vor ihr stand in den geborgten Kleidern, und seufzte. „Na, uns allen ist es erlaubt zu träumen, nicht wahr?“
Frustrierend, wie einfach es war, die Schwester zu überzeugen! Fleur lehnte sich gegen die Liftwand. Von ihr und Antonio Rochas als Liebespaar zu träumen? Keine gute Idee!
„Station 3B, die fünfte Tür links“, sagte die Schwester lächelnd, und dann glitten die Lifttüren hinter Fleur zu.
Fleur fand Station 3B und klopfte leise an. Als keine Antwort kam, drückte sie die Türklinke und fand sich in einem kleinen Zwischengang wieder.
Sie war froh, dass die Schwesternstation nicht besetzt war. Denn kaum hatte sie die Stationstür geöffnet, wurde ihr klar, wie unvernünftig das war, was sie hier tat. Der Mann musste ja denken, sie verfolgte ihn!
Und … tat sie das nicht?
Sie zögerte eine Sekunde zu lang, sonst hätte sie die Stimmen gar nicht gehört – eine junge, hohe, die andere tief. Nur ein Schritt zurück, und Fleur wäre frei.
Du bist frei, sagte sie sich.
Warum dann also schien es, als würde ein unsichtbares Seil sie vorwärts ziehen?
Zwei von den Zimmern, die vom Gang abgingen, waren nicht belegt, zwei Türen waren geschlossen, eine stand offen. Von ihrem Platz aus konnte Fleur ein Krankenbett sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Eine große Gestalt trat jetzt neben das Bett.
Mit einer Hand stützte Antonio sich auf die Bettkante und beugte sich über Tamara. „Du solltest dich nicht aufregen.“ Sanft nahm er ihr die Sauerstoffmaske aus der Hand und stülpte sie ihr über die Nase.
Seine Tochter war so blass wie das Laken, auf dem sie lag. Unwirsch riss sie sich die Maske vom Gesicht. „Tu doch nicht so, als würde es dich interessieren! Als ob meine Mutter dir etwas bedeutet hätte!“ Blanke Verachtung stand auf dem jungen Gesicht. „Was war sie für dich – ein One-Night-Stand?“
„Ich habe nicht die Angewohnheit, mich auf Abenteuer für eine Nacht einzulassen.“
Erst vor ein paar Wochen hatte Antonio das Gleiche zu seiner Schwester gesagt, als sie ihm vorwarf, er sei nicht qualifiziert, über Beziehungen zu reden, da er nie eine gehabt habe, sondern nur eine kontinuierliche Folge von „One-Night-Stands“.
Seine verärgerte Erwiderung hatte keinerlei Eindruck auf Sophia gemacht. Er war an die wohlmeinend-spöttischen Kommentare seiner Schwester gewöhnt, doch dieser hatte ihn getroffen.
„Deine Abenteuer mögen länger als eine Nacht dauern, sechs Monate, vielleicht sogar ein Jahr. Aber lass dir von mir gesagt sein, Antonio, das sind keine echten Beziehungen. In eine Beziehung bringt man sich ein, und du weißt gar nicht, wie man das macht.“
„Hast du sie etwa geliebt?“
Die junge Stimme holte ihn in die Gegenwart zurück. Er sah auf Tamaras argwöhnische Miene. Sie wirkte, als wappnete sie sich für die nächste Enttäuschung.
Ein Gesicht tauchte vor Antonios geistigem Auge auf: makellose Haut, volle rote Lippen und Augen, voll von einer Unschuld, die die Frau, zu der die Augen gehörten, nie besessen hatte. Ein Gesicht, unauslöschlich mit Betrug und Erniedrigung verbunden. Der Betrug kam von ihrer Seite, mit der Erniedrigung hatte er fertig werden müssen. Wenn man neunzehn war und bis über beide Ohren verliebt, konnte Erniedrigung eine verheerende Wirkung haben.
Die Erfahrung mit Miranda hatte Antonio eine wichtige Lektion erteilt: Man konnte sich von seiner Leidenschaft beherrschen lassen, oder man beherrschte seine Leidenschaft. Er hatte seine Wahl getroffen. Er achtete auf Abstand,
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