Im Bann des Mondes
»ehe ich meine Meinung ändere und dir dein Uhrwerkherz herausreiße.«
Wortlos rannte sie davon.
»Also, Bruder«, sagte Conall, »wirst du mich jetzt herausfordern? Oder hattest du vor, die ganze Nacht hier herumzuschleichen?« Er trat aus dem Schatten, und Ian sah seine Kleidung. Er hatte den Kilt des Clan Ranulf mit den breiten roten und blauen Streifen an und trug dazu ein Spitzenjabot um den Hals. Er hatte also damit gerechnet, von Ian gefordert zu werden, denn es war Brauch bei den Königen der Ranulfs, höfische Kleidung zu tragen, wenn ein anderer ihren Thron für sich beanspruchte. Damit war es zwar schwieriger zu kämpfen, doch ein Anführer fürchtete sich ob solcher Banalitäten nicht.
»Jetzt ist mir ganz recht.« Ian streifte seinen Gehrock ab und warf ihn zur Seite. Die Gelenke in seinem Hals knackten, als er die Schultern kreisen ließ.
Die Lykaner traten näher und schlossen einen Kreis um die beiden, um zu beobachten, wer der neue oder alte Anführer sein würde.
Lyall trat vor. »Ist es also eine offizielle Herausforderung, Ian Ranulf? Ich muss die Worte hören, damit der Form genüge getan ist.«
Ian zögerte nur eine Sekunde, dann nahm er ein Leuchten in Lyalls Augen wahr, das Ian das Gefühl gab, der Lykaner würde sich freuen. Damit hatte er nicht gerechnet. Trotzdem richtete Ian sich auf und sah den Angehörigen seiner Art fest ins Auge. »Ich, Ian Alasdair Ranulf, fordere hiermit von Conall George Ranulf den Thron der Ranulfs, wie es mein Recht ist durch Blut, Geburt und Willen.«
Er warf Conall einen durchdringenden Blick zu. »Oder erkennst du deine Niederlage an und trittst zurück?« Es musste gesagt werden. Die Regeln verlangten es. Und Ian wollte keinen Streit, wenn er den Thron einnahm. Allein schon bei dem Gedanken kribbelte sein Körper vor Ungeduld. Sein Wolf war aufgesprungen und verlangte nach Blut.
Conall lachte, als er sich seines Jabots entledigte und seine Jacke auszog. »Das muss ich dir lassen«, meinte er. »Du hast dir deinen Humor bewahrt.«
Lyall ergriff das Wort. »Die Herausforderung ist ausgesprochen worden.« Er verneigte sich vor Conall. »Nehmt Ihr sie an, Ranulf?«
»Ja«, erklärte Conall in fast schon gelangweiltem Tonfall, doch Ian sah das erwartungsvolle Leuchten in den Augen seines Bruders.
»Nun gut.« Ian ließ Krallen und Reißzähne hervortreten. »Dann lass uns beginnen.«
Mit Fäusten und Klauen stürzten sie sich aufeinander. Als Conalls Reißzähne zuschnappten, verfehlten sie Ians Hals nur um Haaresbreite. Ian holte mit dem Fuß aus und riss Conall die Beine weg, sodass dieser zu Boden krachte. Seine Krallen bohrten sich in Conalls Handgelenke und nagelten ihn fest.
»Ist das alles, was du zu bieten hast, Bruder?«, fauchte Conall ihn an.
Ian zuckte noch nicht einmal. »Du bist derjenige, der am Boden liegt. Gib auf, Conall, und beende diesen Wahnsinn.«
Conall fletschte die Zähne. »Nur über meine Leiche.«
Ian hatte gewusst, dass es so weit kommen würde, doch als er seinen Bruder jetzt unter sich liegen sah, zog sich sein Herz zusammen und in seinem Innern lehnte sich alles gegen die Vorstellung auf. »Vater hätte nicht gewollt, dass es zwischen uns beiden so weit kommt.«
»Vater war verrückt und hatte es verdient, dass er gestürzt wurde. Und du hast doch eh immer nur das getan, was er gesagt hat.« Conall bäumte sich auf und schnappte zu. »Wenn du meinen Thron willst, dann nimm ihn dir, wie ein wahrer Anführer es machen würde.«
Ian drückte Conalls Handgelenke, bis er spürte, wie die Knochen sich bogen. »Ein wahrer Anführer«, fauchte er. »Du regierst doch mit Angst und Schrecken, nicht mit Respekt.« Einen Moment lang sah er alles wie durch einen roten Nebel. Er knurrte, und seine Zähne gierten danach, Conalls Kehle zu packen.
Sein Bruder lachte nur und machte sich gar nicht die Mühe, sich zu befreien. »Respekt? Du hast dich von den GIM s und der ›Gesellschaft‹ dazu anstacheln lassen, mir den Thron zu nehmen. Du bist doch nichts weiter als eine verdammte Marionette.«
»Du kleiner Mistkerl.« Ian holte mit dem Kopf aus, schlug mit der Stirn zu und nahm voller Befriedigung zur Kenntnis, dass Conalls Nase brach. »Du weißt nichts über meine Beweggründe.«
Blut strömte über Conalls Lippen und färbte seine Reißzähne rot. »Noch du über meine. Du bist doch kaum noch ein Lykaner. Du lässt dir von einer Gesellschaft, die uns alle umbringen würde, wenn sie von uns wüsste, sagen, was du tun sollst
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