Im Bann des Mondes
stürzen?«
»Ja.« Conall trat humpelnd näher. »Das ist nicht meine Nadel, Ian«, sagte er und blickte ihn mit neu erwachtem Argwohn an, denn Conall wusste genau wie Ian, wo die andere Nadel hingekommen war. »Das ist Maccons.«
Ein Eisklumpen bildete sich in Ians Magen, und sein Blut gerann. »Nein.« Mehr konnte er nicht sagen. Schweiß lief über seinen Rücken.
Nein!
Ein mitleidiger Ausdruck trat in Conalls Blick. »Lyall hat mir gesagt, dass es keinen Werwolf gibt …«
Ian hörte das Zischen eines Schwertes eine Sekunde, bevor es durch Conalls Hals schnitt. Conalls Mund öffnete sich vor Überraschung, als sein Kopf auch schon mit einem dumpfen Schlag zu Boden fiel. Dann sackte der Körper neben ihm zusammen. Lyall stand auf der anderen Seite. Er hatte das Schwert noch in der Hand, und auch er hatte den Mund geöffnet – vor Entsetzen.
37
Ian konnte sich weder bewegen noch etwas sagen, während er den Mann anstarrte, der gerade seinen Bruder umgebracht hatte. Es herrschte angespannte Stille, keiner sagte etwas. Dann richtete Lyall den Blick auf das Schwert, das er in der Hand hielt, als verstünde er nicht, wie es dahin gelangt war. »Ich sagte Conall, dass du dir die Geschichte mit dem Werwolf ausgedacht hättest, um ihn unfähig erscheinen zu lassen.«
»Du …« Ian versagte die Stimme, denn er war immer noch wie erstarrt. Verzweifelt versuchte sein Verstand zu erfassen, dass sein Bruder tot war.
»Ja.« Lyall ließ das Schwert fallen. »Und der Narr glaubte mir. Genau wie du glaubtest, dass Conall den Werwolf lenkt.« Sein Blick ging kurz zu Conalls Leichnam, ehe er mit einem Ruck wieder Ian ansah. »Der Clan brauchte einen wahren Anführer. Der Clan brauchte dich.«
Bittere Galle stieg in Ians Kehle hoch, und er musste schlucken. »Es ging dabei die ganze Zeit nur darum, mich zum Anführer zu machen?«
»Das hat dich doch aus deinem erbärmlichen Zustand des Selbstmitleids geholt, oder nicht?« Lyall lief rot an. »Du hättest den Thron annehmen sollen, als er dir angeboten wurde. Doch stattdessen hast du zugelassen, dass uns dein Bruder fast in den Untergang getrieben hat!«
Tief in Ians Innern setzte ein Zittern ein, das sich langsam seinen Rücken hocharbeitete. »Wo hast du diese Nadel her, Lyall?«
»Maccon hat die Nadel diesem Mädchen gegeben. Der Werwolf ist Maccon.«
»Lüge!« Mehr konnte Ian nicht sagen. Nicht Maccon. Sein Sohn war tot. Er hatte ihn begraben. Er hatte eine ganze Nacht und einen vollen Tag an seinem Grab getrauert. Er hatte seitdem jeden Tag um ihn getrauert.
»Er war bereits zum Lykaner gereift. Du hast ihn beerdigt … er war versehrt, aber lebendig. Der arme Junge hat sich mit Hilfe seiner Krallen aus der Erde befreit und kam dann direkt nach Ranulf Hall gelaufen. Nur … du warst fort, und ich war da.«
Eine Lüge.
Alles in Ian bäumte sich gegen diese Worte auf. »Sein Schädel war aufgeplatzt, das Genick gebrochen. Er war tot.«
Lyall schüttelte langsam den Kopf, und Ian sah die Wahrheit in seinen Augen. »Er brauchte nur Zeit, bis er wiederhergestellt war.«
»Warum sollte er …« Ian stockte der Atem. Der Werwolf hatte sich mit Syphilis infiziert.
Lyall nickte, als hätte er gesehen, dass Ian plötzlich alles begriff. »Er hatte die Syph. Sagte, er wollte nicht, dass du oder Una ihn so sähen. Verdammt, das war doch der Grund, warum er versucht hat, sich umzubringen.«
Als Ian schließlich den Mann anschaute, der sein Leben auf den Kopf gestellt hatte, dröhnte es ihm in den Ohren. »Wie konntest du nur? Wusstest du denn nicht, was ihn erwartete?«
Lyall hob das Kinn. »Ich hab ihm eine Pflegerin besorgt, oder etwa nicht? Ich hab es ihm so angenehm gemacht, wie ich konnte. Niemals hatte ich damit gerechnet, dass er sich vollständig verwandeln würde, als die Pflegerin starb. Doch als es passiert war, sah ich die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben.«
Ian schaffte es gerade noch, nicht von Übelkeit übermannt zu werden; denn bittere Galle schoss brennend nach oben.
Heilige Mutter Gottes.
Er hätte am liebsten laut geschluchzt, Lyalls Gesicht zu Brei geschlagen … doch er fühlte sich wie erstarrt. Er brodelte innerlich vor Wut und knirschte mit den Zähnen. »Warum?« Er unterdrückte ein Knurren und zitterte am ganzen Körper, weil er seine Wut so fest im Zaum hielt. »Warum hast du ihn von mir ferngehalten?« Ian konnte sich plötzlich nicht mehr beherrschen. »Warum hast du völlig irrer, verdammter Mist…«
»Er bat mich darum.«
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