Im Bann des Nebels, 2, Der ewige Bund (German Edition)
Haus. Draußen schneite es nicht mehr; der Hof lag unter einer dicken weißen D ecke. Am Himmel schoben sich die Wolken wie ein Vorhang auseinander, und darüber blitzten und funkelten die Sterne. Es war ganz still, nur die Stiefel knirschten im Schnee.
Philipp hielt Sonja zurück und ließ die beiden anderen vorgehen. »Hör mal«, sagte er leise, »sei vorsichtig, okay? Diese Vögel sind wirklich gefährlich. Einer von denen hat mich ziemlich böse erwischt.«
Erschrocken starrte Sonja ihn an und erinnerte sich dann an das Blut auf seinem Pullover. »Aber – du bist doch nicht verletzt!«
»Jetzt nicht mehr.« Er zögerte, warf einen Blick zum Stall und schaute dann wieder auf seine Schwester hinab. »Nachtfrost hat mich geheilt. Mit seinem Horn. Ich hab immer gedacht, so etwas gibt es bloß in irgendwelchen kitschigen Märchen, aber er hat es wirklich getan. Und nur deshalb lasse ich dich überhaupt gehen, klar? Ohne dieses Einhorn würde ich dich nämlich jetzt unter den Arm klemmen und nach Hause marschieren. Dieses Zauberland interessiert mich nicht – ich will nur, dass du heil und gesund wieder nach Hause kommst. Versprochen?«
Sonja umarmte ihn fest. »Versprochen.«
Darian und Melanie warteten an der Stalltür auf sie, und sie gingen hinein.
Drinnen empfing sie das Schnauben und Rumoren der in ihrer Nachtruhe gestörten Pferde. Zwei Reihen großer Gitterboxen zogen sich entlang der sauber gefegten Stallgasse. Hier und da streckte ein Pferd seinen Kopf nach draußen und schaute ihnen neugierig entgegen. Sonja und Melanie wussten schon, dass auf Gut Stettenbach Englische Vollblüter gezüchtet wurden, aber bisher hatten sie kaum Gelegenheit gehabt, sie wirklich zu sehen. Auch j etzt hatten sie keine Zeit, aber sie lasen wenigstens die klangvollen Namen auf den Schildern und streichelten die weichen Mäuler. An fast allen Boxen hingen die Schleifen und Medaillen gewonnener Rennen. Die meisten – zwölf Stück – hingen an der Box von Santana, einem kupferfarbenen Fuchshengst, in den Melanie sich auf den ersten Blick verliebte. Sie blieb an seiner Box stehen und schaute sehnsüchtig hinein. Sonja schob sich neben sie, und sie betrachteten den schönen Fuchs, der sie ebenso interessiert musterte.
»Hach«, murmelte Melanie. »Warum kann er nicht auch ein Einhorn sein?«
»Weil einige unserer Pferde doppelt arbeiten müssen – sie verdienen nämlich auch das Futter für den einen oder anderen Gaul, der auf der Rennbahn läuft wie eine schwangere Kuh.« Die Stimme kam aus der Nachbarbox, und sie zuckten zusammen. Ben, der Stallmeister, schob die Tür mit dem Namensschild »Nero« auf, an der keine einzige Medaille hing. »Frag mal Santana, was er davon hält, für Komplettversager wie unseren Nero hier mitzugaloppieren.«
Alle vier starrten ihn verblüfft und verärgert an. »Was soll das denn heißen?«, fragte Melanie wütend.
Ben verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Genau das, was ich gesagt habe. Santana läuft wie ein Gott – wie Eclipse persönlich, würde ich behaupten. Er gewinnt jedes Rennen mit mehreren Längen Vorsprung, egal, gegen wen er antritt. Aber unser Nero beginnt jedes Rennen erst mal damit, sich im Kreis zu drehen. Manchmal hat sein Reiter Glück und bringt ihn dazu, in die richtige Richtung zu galoppieren. Und wenn man dann noch viel mehr Glück hat, kommt er sogar im Ziel an. Zehn Minuten nach allen an d eren. Er ist auf jeden Fall immer für eine Lachnummer gut, wenn wir uns mal wieder so richtig blamieren wollen.«
»Das glaube ich nicht!«, sagte Sonja empört. »Wie können Sie so gemein über ihn reden? Nachtfrost läuft schneller als jedes Pferd der Welt!«
»Nachtfrost – ja, der.« Ben grinste wieder. »Aber Nero nicht. Denkt mal gut nach, vielleicht kommt ihr selber darauf, warum.«
»Ist doch logisch, Sonja«, warf Philipp ein. »So ist er hier nicht in Gefahr. Wenn er ein berühmtes Rennpferd wäre, würden vielleicht einige Leute auf die Idee kommen, ihn kaufen oder stehlen zu wollen. Aber als Komplettversager bleibt er ungestört und kann tun und lassen, was er will. Und wer oder was ist Eclipse?«
»Eins der berühmtesten Rennpferde dieser Welt«, antwortete Ben knapp. »Er lebte am Ende des 18. Jahrhunderts, und einige seiner Weltrekorde auf der Rennbahn sind bis heute nicht gebrochen worden. Die meisten Englischen Vollblüter stammen von ihm ab. Übrigens muss unser Nero übernächste Woche mal wieder ein Rennen verlieren, also seht zu, dass ihr alle
Weitere Kostenlose Bücher