Im Bann des Omphalos
ein verlorenes Kind, ein zu früh dahingeschiedener Lebenspartner …
Im Wagen, der sie zum Touristenheim zurückbrachte, stellte sie sich ihm vor. »Ich bin Shara Mordain von Elgesh«, sagte sie. »Und Sie sind Mark Carodyne. Ich sah Sie, als Sie ankamen. Sind Sie allein?«
»Ja.«
»Darüber bin ich froh«, erklärte sie mit ungeschminkter Offenheit. »Es ist mir lieber, wenn ich nicht um Sie kämpfen muß. Waren Sie schon einmal auf Elgesh?«
»Nein.«
»Bei uns kommen zwei Frauen auf einen Mann, deshalb müssen wir die Initiative ergreifen. Stört es Sie?«
Er musterte sie lächelnd. Ihr von dem buschigen Pelzbesatz der Kapuze umrahmtes Gesicht war fest geschnitten, mit hohen Wangenknochen und vollen Lippen über einem entschlossen ein wenig nach vorn geschobenen Kinn. Unter dem dicken Gewand waren die weichen Linien und die Kraft einer Raubkatze zu ahnen. Sie war vermutlich sehr vermögend, eigenwillig und konnte zum Problem werden, wenn er es zuließ.
Ruhig sagte er: »Erzählen Sie mir von Elgesh.«
»Es gibt nicht viel darüber zu erzählen. Es ist eine Welt wie fast alle anderen auch. Vor einiger Zeit hatten wir eine Virusepidemie, die sich auf die männlichen Geschlechtsorgane schlug. Innerhalb von zwei Jahren waren neunzig Prozent unserer Männer steril. Das wäre nicht einmal so schlimm gewesen, wenn nicht auch das Geburtensystem verrückt gespielt hätte: auf jedes Neugeborene männlichen Geschlechts kamen fünf des weiblichen. Allmählich gleicht es sich wieder aus, aber dasselbe wie früher wird es nie wieder.«
»Und was können Sie von sich erzählen?«
Sie zögerte und warf ihm einen verstohlenen Blick zu. »Ich weiß, was Sie denken: ein liebeshungriges Mädchen auf Männerjagd. Na ja, vielleicht haben Sie sogar recht, aber ich möchte es gern anders sehen. Nennen wir es ein durch die Umstände bedingtes reaktives Syndrom, und lassen wir es dabei.« Sie blickte durch das Fenster auf das verschwommene Himmelslicht. »Was halten Sie davon?«
»Vom Omphalos?« Er zuckte die Schultern. »Ich sagte es Ihnen ja, es ist nichts als ein gigantisches Kaleidoskop.«
»Das darf unser Tourführer aber nicht hören. In früherer Zeit soll sein Volk es angebetet haben. Sie nannten es ›Spiegel des Geistes‹ oder so ähnlich. Sie glaubten sogar, daß Götter dort lebten und jeden Schritt ihres Lebens lenkten. Ich möchte wetten, daß sie ihnen sogar Opfer brachten, wenn Wetter oder Ernte zu wünschen übrig ließen.«
»Das wäre durchaus nicht ungewöhnlich. Es ist der normale Vorgang bei Völkern, die aus der Primitivität der Zivilisation entgegenwachsen. Auf der Erde brachte man der Sonne, dem Mond und allen möglichen Göttern Opfer.«
»Kommen Sie von der Erde?« Als er nickte, sagte sie fast sehnsüchtig: »Die alte Heimat! Eines Tages werde ich sie auch besuchen. Ist sie wirklich so schön, wie behauptet wird?«
»Ich glaube schon.«
»Sie sind natürlich voreingenommen! Sind Sie Anthropologe?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Sie wissen so viel über Religionen und primitive Völker.«
»Ich bin kein Anthropologe, aber ich lese gern und viel.«
»Männer!« Sie knirschte mit den Zähnen. »Die, die ich nicht ausstehen kann, reden ohne aufzuhören, und die, die mir gefallen, wollen den Mund nicht aufmachen. Aber ich gebe nicht auf. Was sind Sie?«
»Ein Spieler«, antwortete er und stand auf, als der Wagen am Fuß der Rampe zum Touristenheim anhielt.
In der riesigen Blockhütte glänzten antike Kupfergefäße auf poliertem Holz. Ein offenes Feuer prasselte mitten im Raum, von steinernen Schranken in seinen Grenzen gehalten. Gedämpftes Licht brannte in schmiedeeisernen Laternen, die von den Deckenbalken hingen und in Ecken und Nischen standen. Es war die idealisierte Version einer alten Skihütte, die wohlige Zuflucht vor dem Schnee und Eis und tiefhängenden Winterhimmel bot. Ein Diener eilte mit einem Tablett herbei, auf dem er dampfende Kelche trug, und bot den auf Krait üblichen Willkommenstrunk an, einen angenehm gewürzten Glühwein.
Die Touristen tranken schweigend, noch benommen vom Anblick des Omphalos. Shara öffnete den Mantel, unter dem sie einen hautengen Dreß in Scharlach und Gold trug. »Es ist mir zu warm, Mark«, sagte sie. »Ich muß etwas Leichteres anziehen. Sehe ich Sie nachher noch?«
»Möglich.«
»Warum nicht ›sicher‹? Mögen Sie mich nicht, oder möchten Sie sich auf nichts einlassen?«
»Ja und nein«, antwortete er unverblümt. »Ich mag Sie, und
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