Im Bann des Omphalos
träumen, etwas ganz Großes zu sein. Ein Psychologe würde es Wunschträume nennen, oder vielleicht einen Versuch, unterbewußt für seine eingebildete Unzulänglichkeit kompensieren zu müssen.« Er bewegte seinen anderen Läufer. »Ihr Zug, mein Lord.«
Er gab seinem Gegner keine Zeit zum Überlegen. Als die dünnen Hände zögerten, fuhr er fort: »Diese Träume können auch die Folge eines starken Schuldbewußtseins sein. Der Wunsch, sich in den Mantel des Allmächtigen zu hüllen, um Missetaten vor sich selbst zu rechtfertigen. Gott kann kein Unrecht tun. Also war das, wessen man sich schuldig fühlt, nichts Schlechtes gewesen, denn man ist ja selbst Gott.«
Der Ekal gab sich eine schlimme Blöße. Carodyne nutzte sie und nahm die ungeschützte Figur. »Ein schändlicher Versuch, sich zu rechtfertigen, mein Lord. Eine einmal begangene Tat läßt sich nicht zu etwas anderem machen, als das was sie zur Zeit, da sie begangen wurde, war. Auf gewisse Weise läßt sich das Omphalos mit einem Spiegel vergleichen, in dem jeder seine Seele sehen kann. Haben Sie bereits gezogen, mein Lord?«
Fünfzehn Minuten später wußte Carodyne, daß er so gut wie gewonnen hatte. Er hatte den Ekal so aufgewühlt, daß er unüberlegte Züge machte. Er starrte auf das Brett und zupfte am Ohr, während Carodyne sich zum erstenmal seit Beginn des Spieles ein wenig entspannte und seine Umwelt wahrnahm.
Außer Presh, der dicht neben seinem Herrn stand, hatten sich inzwischen ein Dutzend Zuschauer eingefunden. Flüchtig bemerkte er Shara Mordain. Sie trug ihr blauschwarzes Haar geflochten zu einer Krone hochgesteckt, und ihre Figur war genau, wie er sie sich vorgestellt hatte: weich und doch muskelfest und absolut weiblich. Sein Blick kehrte zum Brett zurück. Der Sieg war sein – wenn er ihn wollte!
Er hob die Augen und sah den Ekal an. Tagh Altin wirkte noch kleiner, und sein Gesicht war eine Maske. Er spürte, daß die Zuschauer seine Niederlage wünschten, und sein Stolz brach.
Carodyne sagte ruhig. »Mein Lord, dürfte ich Ihre Großzügigkeit in Anspruch nehmen? Ich hätte gern ein Glas Wein.«
Tagh Altins Augen weiteten sich ein wenig, und plötzlich wirkte seine Miene weniger maskenhaft. Es war, als hätte er etwas abgeschüttelt. Furcht, vielleicht? Anspannung, ganz sicher.
»Aber selbstverständlich, mein lieber Mark. Presh, bring eine Flasche des feinsten Jahrgangs.«
Der Wein war kühl, süß und erfrischend auf der Zunge. Carodyne nahm einen tiefen Schluck und beobachtete den Ekal, der das gleiche tat. Nun, da er seine Entscheidung getroffen hatte, durfte er ruhig sorglos sein. Trotzdem mußte die Partie zu Ende gespielt werden, und es genügte nicht, daß er verlor, er mußte auch den Anschein erwecken, um den Sieg zu kämpfen.
»Ich glaube, es ist Ihr Zug«, sagte Tagh Altin.
Carodyne nahm eine Figur und stellte sie ab. »Schach, mein Lord.« Es war ein einfaches Schach, das leicht abzudecken war. Ein erfahrener Spieler würde den Fehler bemerken, der nicht offensichtlich schlimm war, aber doch das unausbleibliche Ende einleitete. Fünf Züge, dachte Mark, höchstens sieben. Der Ekal würde sich seines Sieges freuen können.
Es kam zu sechs Zügen. Ein guter Kompromiß.
2.
Der Gesellschaftsraum füllte sich mit Gästen verschiedenster Art, unter ihnen eine kleine Gruppe Dinwees aus dem Ebon Sternhaufen, grell gekleidet, geschmeidig wie Katzen, mit Augenschutz gegen die zu helle Beleuchtung; einige Lapash, hochgewachsen, arrogant, in glänzenden Kettenhemden und Dolchen in den Gürteln. Sie bildeten einen auffälligen Kontrast zu den paar Pilms in ihren schmucklosen braunen Kutten. Außerdem saßen und standen Angehörige Dutzend unterschiedlicher Rassen herum und unterhielten sich angeregt. Kellner bahnten sich mit vollen Tabletts einen Weg hindurch, und an der Bar herrschte ein Gedränge. Es war wie jede andere Nacht hier auch.
Ein untersetzter Mann in blaugeflecktem Leder, narbigem Gesicht und Prankenhänden, in denen der Bierkrug sich fast verlor, rief:
»So ein Pech, Mark. Ich hoffe, es ist kein Omen.«
»Heuchler«, sagte ein anderer aus der kleinen Gruppe um den Untersetzten. »Du hoffst, daß Marks Glückssträhne endlich abbricht, Helm, genau wie wir andern auch. Das ist nicht persönlich gemeint, Mark.«
Helm Fendhal zuckte die Schultern. »Am Hang kann alles passieren. Heute nacht trinken wir vergnügt, morgen sind wir vielleicht nur noch Kleckse auf dem Eis.« Er leerte seinen Krug,
Weitere Kostenlose Bücher