Im Bann des Omphalos
Dolch.
Blutspuckend fiel Jeran.
»Bei allen Göttern! Nie sah ich einen geschickteren Wurf!« Seyhat schwang sich über den Rand der Brustwehr. »Mit der Linken, und geradewegs in die Gurgel. Mark, vergiß nie, daß ich dein Freund bin.« Er hatte ein zweites Seil mitgebracht und befestigte es ebenfalls an einer Zinne. Ein gehörnter Helm tauchte auf und mit ihm Hostig, ebenfalls mit einem Seil, das er zu den Wartenden hinunterließ.
Ein Posten rief von der gegenüberliegenden Wehrplattform. »He, ihr da drüben! Wo habt ihr euer Licht? Ist alles in Ordnung?«
»Geht durch die Tür und wartet auf der Treppe«, flüsterte Carodyne den anderen zu, dann brüllte er zurück. »Alles in Ordnung. Der Wind hat die Fackel ausgeblasen.«
»Bist du es, Lorest?«
»Bei Kanin, du Dummkopf!« schrie Carodyne mit tiefem Baß. »Erkennst du Jerans Stimme nicht?« Er hob die erloschene Fackel, zündete sie und hielt sie sich vors Gesicht. »Na? Betört meine Schönheit dich so, daß du mich so anstarrst? Oder fürchtest du dich vor der Dunkelheit?«
Beleidigt drehte der Posten auf der anderen Wehrplattform sich um. Carodyne steckte die Fackel zurück in ihre Halterung, als weitere seiner Männer auf die Brustwehr kletterten.
Die Wendeltreppe führte zu einem Wachraum, in dem eine Handvoll Soldaten bei Würfelspiel und Wein saßen. Sie starben in einem blitzartigen Klingenwirbel. Mit bluttriefendem Schwert spähte Hostig durch eine Tür, dann schaute er zu Carodyne zurück. »Sie führt auf den Wehrgang. Eine ganze Menge Soldaten stehen dort herum. Ehe wir sie alle zum Schweigen bringen könnten, gelänge es ihnen bestimmt, Alarm zu schlagen.«
»Die Treppe führt ganz hinunter«, sagte Seyhat nachdenklich. »Wenn wir uns sammeln, könnten wir das Tor gewinnen.«
Es war ein guter Vorschlag. Sie hatten Glück, daß ausgelassen gefeiert wurde. Die normalerweise wachsamen Soldaten trauerten der verlorenen Gelegenheit nach oder warteten ungeduldig auf ihre Ablösung, während sie den Feiernden zusahen, und so bemerkten sie auch die hinter ihnen Vorbeihuschenden nicht.
Nur ein paar Posten bewachten das verriegelte Tor. »Und jetzt?« fragte Hostig.
Zögern war gefährlich, aber sie mußten nach einem Plan vorgehen. Carodyne flüsterte seinen Leutnants zu: »Hostig, du greifst von der gegenüberliegenden Seite an. Seyhat, du von dieser. Ich nehme mir die Mitte vor und öffne das Tor. Jeder von uns nimmt ein Drittel der Männer. Wenn die anderen eingelassen sind, stürmen wir zum Palast und schnappen uns die Königin!« Er straffte die Schultern, als von der Brustwehr ein Schrei zu hören war. »Jetzt!«
Sie hatten die unvorbereiteten Wachen niedergemacht, ehe die überhaupt begriffen, was vorging. Doch nun standen sie vor dem inneren Fallgatter. Carodyne brüllte seinen Männern einen Befehl zu und rannte in das Wachhaus, wo sich die große Winde für Fallgatter und Zugbrücke befand. Ein wilder Wirbel von Schwerthieben und er hatte es eingenommen.
»Hoch mit dem Fallgatter!« brüllte er. »Beeilt euch!«
Ungeduldig fluchte er, als es sich viel zu langsam hob. Dahinter befand sich das mächtige, mit Eisenstreifen verstärkte Eichentor, dessen gewaltiger Riegel mit Kette und Vorhängeschloß gesichert war. Hostig rannte axtschwingend herbei und sprengte das Schloß. Mit vereinten Kräften hoben sie den Riegel und rissen die Flügel auf, fast gleichzeitig sauste die Zugbrücke hinunter.
Aus der Dunkelheit kamen ihre Männer gerannt. Sie heulten wie die Wölfe, als sie in die Stadt stürmten, ausgehungert und nach Rache dürstend. Sie mußten, da sie in der Minderzahl waren, schnell zuschlagen, ehe die Verteidiger sich sammeln konnten. Den Palast zu erreichen und die Königin als Geisel zu nehmen, war ihre einzige Hoffnung auf Sicherheit.
Frauen schrillten, als die wildäugigen Männer, deren Waffen blutbesudelt waren, durch die engen Straßen rasten. Bürger brüllten auf und suchten hastig ihr Heil in den Häusern. Andere, die in ihrer Panik keines klaren Gedankens fähig waren, rannten vor den Invasoren her und schrien ihre Furcht hinaus.
Carodyne spürte etwas gegen seinen Helm schlagen und etwas anderes gegen seine dicke Brigantine. Ein mit Girlanden behangener Betrunkener fiel gellend schreiend, und ein Söldner spuckte Blut, als ein gefiederter Pfeilschaft aus seiner Kehle ragte.
Hostig brüllte eine Warnung. »Vorsicht! Sie haben Bogenschützen auf dem Dach!«
Der Pfeilbeschuß endete, als sie den Marktplatz
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