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Im Bann des roten Mondes

Im Bann des roten Mondes

Titel: Im Bann des roten Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hastings
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müssen wir bis zum Einbruch der Dunkelheit eine bestimmte Strecke zurücklegen.«
    »Für mich ist es eine gute Stelle zum Rasten«, sagte sie und wusste nicht so recht, wie sie es ihm erklären konnte. Für die Männer war es kein Problem, hinter einem Kamel ihre Notdurft zu verrichten. Es war ihr einfach peinlich, das in der Gegenwart der Männer zu tun. »Ich meine, die anderen brauchen nicht einmal von ihren Meharis abzusteigen.«
    Arkani verstand sofort und gab mit der Hand das Zeichen zum Halten. Einer der Männer ohne Schwert glitt von seinem Reittier und zwang Désirées Mehari in die Knie. Désirée kletterte herunter und verschwand zwischen den Felsen. Sie fand eine ideale Stelle in einer Felsmulde, die mit feinem, hellem Sand angefüllt war. Aufatmend raffte sie ihre Gandura hoch und hockte sich hin. Nach einer kurzen Weile überkam sie das Gefühl, dass sie jemand beobachtete. Waren diese unzivilisierten Wüstenkrieger tatsächlich solche unverschämten Schweine, einer Dame dabei zuzuschauen? Empört wandte sie sich um – und schrie auf.
    Hinter einem scharfkantigen Felsen lugte ein dunkles Gesicht hervor und betrachtete sie mit gutmütiger Neugier. Der Kopf wurde von einem zotteligen Bart und zwei krummen Hörnern geschmückt. Es sah aus wie der Teufel persönlich.
    Mit Désirées Schrei zuckte der Kopf zurück, gleichzeitig erhoben nicht sichtbare Bengalivögel irgendwo hinter den Felsen einen ohrenbetäubenden Lärm. Und dann hörte sie auch schon die aufgeregten Stimmen der Männer. Schnell ließ sie ihre Gandura fallen und blieb stehen, wo sie stand. Die Tuareg kamen mit drohend erhobenen Schwertern herbeigelaufen und blieben verwundert vor ihr stehen.
    »Was ist geschehen?«, fragte Arkani und blickte sich suchend um.
    Mit zitternder Hand zeigte Désirée zur Felswand. »Da ... da oben ... war jemand.«
    Zwei der Männer kletterten an dem Felsen empor und verschwanden hinter dem Vorsprung. Kurz darauf kamen sie wieder hervor und riefen etwas herunter. Einen Augenblick schwiegen die anderen Männer, dann begann einer zu lachen, dann der nächste, bis sie schließlich alle in schallendes Gelächter ausbrachen. Sie steckten ihre Schwerter wieder ein und wandten sich ab.
    »Was ist denn?«, fragte Désirée nervös.
    »Es waren wilde Schafe«, erwiderte Arkani, immer noch lachend. »Wahrscheinlich hatten sie einen so köstlichen Anblick nicht erwartet.«
    Verlegen senkte sie den Blick. Sie hatte sich vor allen blamiert!
    Danach hatte sie es ziemlich eilig, ihr Mehari wieder zu besteigen und schwor sich, erst wieder zur Nachtruhe den Wüstenboden zu berühren. Eingereiht in die Kette der Dromedare ließ sie sich in den Dämmerzustand schaukeln, der die Grenze zwischen Wachsein und Schlaf bildete.
    Der Rest des Tages verlief ohne Zwischenfälle. Als sie am Abend um das Feuer saßen, schenkten die Männer mit den gleichen präzisen, gemessenen Bewegungen den schäumenden Tee in die Becher wie tags zuvor. Es war ein immer wiederkehrender Ritus wie das Erwachen der Sonne am Morgen und ihr fulminanter Untergang am Abend, wie das Aufsteigen der glitzernden Sternenpracht in der Nacht und das Heraufziehen der Kälte vor der Morgendämmerung. Ein immer währender Kreislauf der Natur, dem sich die Menschen nicht entziehen konnten.
    Langsam und still wurde der Tee genossen, so als hätten sie alle Zeit der Welt. Drei Becher leerte jeder von ihnen, und er brachte etwas von dem zurück, was der »himmlische Henker«, die alles verzehrende Sonne, ihnen tagsüber aus dem Körper gezogen hatte. Überhaupt schien die Zeit etwas zu sein, das mit der Wüste unmittelbar zusammenhing. Denn so unendlich wie die Wüste schien, schien auch die Zeit. Die blauen Männer bewegten sich mit derselben Langsamkeit wie die Meharis. Es schien nichts zu geben, was sie in Eile oder Aufregung versetzen konnte. Nie sah Désirée eine hastige Bewegung oder hektische Betriebsamkeit. Manchmal wünschte sie sich, ebenso abgeklärt und voller Selbstverständnis die Gegebenheiten annehmen zu können. Aber sie war keine Targuia, sondern Pariserin mit all den Werten des alten, christlichen Europas. Wenn sie auch einen Teil ihres Lebens – einen beträchtlichen Teil, wie sie selbst feststellen musste – im Orient verlebt hatte, so konnte sie doch ihre Herkunft nicht abstreifen wie eine Schlangenhaut.
    Désirée entdeckte Arkani plötzlich nicht mehr in der Runde. Inzwischen hatte sie gelernt, die Männer auseinander zu halten. Sie unterschieden

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