Im Bann des roten Mondes
Könige. Doch niemals ...«
»Niemals?« Zynismus klang aus seiner Stimme.
»Der Krieg hat wahrscheinlich andere Gesetze«, sagte sie leiser. »Da geschehen Dinge, die nicht geschehen sollten.«
»Und das hast du erwartet?«
»Ich weiß nicht. Wir befinden uns ja nicht im Krieg.«
»Doch, wir befinden uns im Krieg. Fremde Mächte sind in unser Land eingedrungen und nehmen es uns weg.«
»Niemand nimmt euch die Wüste weg. Niemand hindert euch daran, so zu leben, wie ihr lebt«, widersprach sie.
»Und die Eisenbahn?«, wollte er wissen. »Sie soll die Wüste durchschneiden wie ein stählernes Schwert. Ein Schwert, das in den Leib unseres Volkes stößt.«
»Was ist gegen diesen Fortschritt einzuwenden?«, wunderte sie sich. »Ich kenne die Eisenbahn sehr gut, und ich finde, sie ist eine der grandiosesten Erfindungen der Menschheit. Frankreich ist ein großes Land, und die Eisenbahn gestattet Reisen in alle entlegenen Winkel innerhalb kürzester Zeit. Aber die Wüste ist ungleich größer. Welch eine Zeitersparnis würde es bringen, eine Eisenbahnlinie bis nach Timbuktu zu führen! Dann wären diese monatelangen Karawanen nicht mehr nötig. Alle Waren aus dem Süden könnten mit der Eisenbahn in die nördlichen Küstenstädte gebracht werden. Für die Tuareg wäre es doch viel einfacher, die wunderbaren blauen Stoffe zu bekommen.«
»Es wäre das Ende unseres Lebens, unserer Existenz«, erwiderte er nach langem Schweigen. »Unser Leben besteht aus Traditionen. Ohne diese Traditionen verlieren wir unsere Identität.«
»Niemand hindert euch, diese Traditionen weiter zu pflegen. Doch so ein bisschen zivilisierter Fortschritt kann doch nicht schaden. Was ist schlecht daran?«
»Diesen so genannten Fortschritt bringen die Fremden, die meinen, dass er so gut für uns sei. Diese Fremden sind anders, denken anders, kämpfen anders. Ihr Bestreben ist, uns die Freiheit und unsere Identität zu nehmen.«
»Ich glaube, die Tuareg verstehen das nicht richtig. Die Franzosen sind ein zivilisiertes Volk, das niemandem die Freiheit nehmen will. Wir helfend diesem armen, rückentwickelten Land, indem wir moderne Städte bauen, moderne Anlagen, Fabriken, Bergwerke ...«
Wieder schwieg Arkani eine geraume Weile, bevor er weitersprach. »Ein Elelli kann niemals die Unfreiheit ertragen. Dazu ist er viel zu stolz. Seit Jahrhunderten beherrscht er die Wüste und die Karawanenstraßen. Solange unsere Schwerter die besten Afrikas waren, war es gut. Dann kamen die Fremden mit den Feuerwaffen. Es sind Waffen für Feiglinge. Ich verachte sie.«
»Aber ihr könnt nichts gegen sie machen. Weder ein Schwert noch ein Schild schützt euch vor einer Kugel aus dem Lauf eines Gewehrs.«
Er nickte nachdenklich. »Das Schwert wird nur mit Ebenbürtigen gekreuzt. Doch was ist das für ein Feind, der sich hinter einem Felsen versteckt und tödliche Kugeln durch die Luft schickt? Ist er ebenbürtig?«
»Er ist ebenbürtig in dem Augenblick, wo du auch ein Gewehr besitzt.«
»Ein Amajer stirbt nicht einfach so. Er stirbt mit Stolz und Hochmut im Herzen. So wie er sich niemals unterwerfen würde, so nimmt er auch nicht die Waffe eines Feiglings in die Hand.«
Désirée blickte zum Himmel hinauf. Der Mond füllte sich und umgab sich mit einer kupfernen Aura. In sechs Tagen würde er sich ganz gerundet haben. Dann würden sie die Geisterfelsen erreicht haben. Ihr fiel auf, dass der Mond hier viel größer war als in Paris. Da schien sein Licht weiß und kalt und sehr fern. Hier aber war der Mond groß und weich und rot. Er hatte etwas Magisches an sich, ebenso wie Arkani in seinen blauen Schleiern.
Ihre kämpferische Stimmung weichte auf. »Ich glaube, dass die Welt der Tuareg niemals erobert werden kann«, sagte sie schließlich. »Weil niemand diese öde Wüste haben will. Die Tuareg werden ihre Freiheit behalten. Niemand wird sie stören.«
»Hast du dich daheim in deiner Stadt Paris frei gefühlt?«, wollte er wissen.
»Selbstverständlich. Ich gehe, wohin ich will, ich tue, was ich will.« Sie lachte auf. »Sonst wäre ich wohl nicht hier.«
Wieder lag das Schweigen über ihnen, und nur das leise Rascheln der Sandkörner, die der Wind über die Wüste trieb, durchbrach die Stille. Vom Lager her waren keine Stimmen mehr zu vernehmen. Wahrscheinlich hatten sich die Männer schon zur Ruhe gelegt.
Arkani neigte seinen Kopf. »Wie fühlst du dich jetzt? Frei oder als Gefangene?«
»Im Lager habe ich mich als Gefangene gefühlt. Aber jetzt
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