Im Bann des roten Mondes
ausgestoßen sein und könnte allein nicht überleben.«
»Man sagt den Tuareg nach, dass sie grausam seien und mit allen Mitteln kämpften.«
Arkanis gerader Rücken schien sich noch um eine Spur zu strecken. »Das stimmt. An erster Stelle stehen der persönliche Mut des Kriegers und die Kunst des blitzschnellen Tötens.«
»Also gilt das Leben für euch doch nichts.«
»Im Gegenteil. Es ist sehr kostbar. Ein Amajer tötet nur, wenn es sein muss. Und dann auch nur einen ebenbürtigen Gegner. Niemals würde er eine Frau angreifen. Frauen sind unantastbar. Sie sind das Herz der Wüste.«
»Das beruhigt mich ungemein«, murmelte Désirée mit einem Seitenblick auf Arkani.
»Die Krieger würden auch niemals ein Zelt des Gegners angreifen«, erklärte Arkani weiter. »Weil das Zelt den Frauen gehört.«
Désirée schwieg. Arkanis Worte hatten ihre unterschwelligen Befürchtungen wieder beschwichtigt. Wenn diese blauen Krieger tatsächlich solche Ehrenmänner waren, hatte sie überhaupt nichts zu befürchten. Zumindest nicht von ihnen. Ihr einziger Feind war die Wüste selbst. Doch im Schutze dieser Wüstensöhne konnte ihr auch da nichts geschehen. Sie wussten den Weg, sie wussten, wo es Wasser gab, und sie wussten, wie sie sich zu verhalten hatten. Sie brauchte sich ihnen nur anzuvertrauen.
Mit Verwunderung bemerkte sie ein Kribbeln in ihren Adern. Der Gedanke, sich Arkani so bedingungslos auszuliefern, erregte sie. Hatte sie dieses Gefühl nicht schon einmal verspürt? Sie glaubte, sich schwach daran zu erinnern.
»Und trotzdem ...«, versuchte sie noch einen schwachen Vorstoß. »Ihr ehrt die Frauen. Aber was ist mit euren Sklaven? Wie viel ist euch ihr Leben wert?«
Mit dem Arm wies Arkani in Richtung des Lagers. »Es sind fünfzehn Männer. Was glaubst du, wie viele Sklaven unter ihnen sind?«
Désirée überlegte kurz. »Einer«, antwortete sie dann.
»Wie kommst du darauf?«
»Er verrichtet niedere Arbeiten.«
Arkani warf ihr einen hochmütigen Blick zu. »Bist du dir sicher?«
Désirée war sich sicher. »Es ist Touhami, den ich bereits aus dem Dorf kenne. Er kümmert sich um dein Mehari, und er ist es, der sich auch um meines kümmert.«
Arkani erhob sich, um zum Lager zurückzugehen. Doch er blieb noch einen Augenblick vor Désirée stehen und verdeckte den Himmel des sterbenden Tages.
»Es sind fünf Iklan. Sie unterscheiden sich von uns dadurch, dass sie nicht edler Abstammung sind. Aber das kannst du nicht sehen. Was du siehst, ist nur ein einziger Unterschied. Sie tragen keine Schwerter.«
Désirée schwieg. Unter Sklaven hatte sie sich tatsächlich etwas anderes vorgestellt.
»Was hast du heute über das Leben gelernt?«, fragte er sie. Und als sie schwieg, fuhr er fort: »Lebe so, als wäre jeder Tag dein letzter, aber behandle deine Familie und Freunde so, als würdest du ewig leben.«
Sie blieb sitzen, während er sie verließ, und starrte weiter hinaus in die Wüste, wo ihre Augen keinen festen Punkt mehr fanden. Alles zerfloss in einem unwirklichen Licht. Sie wünschte sich, dass so der letzte Tag ihres Lebens aussehen sollte.
XXIII
Am liebsten hätte sie geweint, vor Scham, vor Rührung, vor Verzweiflung – und vor Sehnsucht. Doch Weinen war Verschwendung von Wasser in der Wüste, auch das hatte Arkani ihr gesagt. Arkani! Wie sollte sie die restlichen Tage der Reise noch ertragen, ohne verrückt zu werden? Wie sollte sie es überhaupt aushalten, ohne die Hand nach ihm ausstrecken zu dürfen, ohne ihm zu zeigen, was sie fühlte?
Ihr Blick suchte ihn auf dem schwankenden Rücken seines weißen Meharis, und sie wusste, dass es unmöglich sein würde. Sein Herz würde immer der Wüste gehören. Und seine Liebe. Der Stolz dieses Mannes war der Stolz eines freien Adlers im Himmel. Sein Mut, sein Selbstbewusstsein und seine Klugheit, das waren Attribute, die aus seiner Seele heraus geboren waren. Sie waren ihm so wichtig wie das Wasser, seine Freiheit und die Weite der Wüste. Mit grausamer Deutlichkeit wurde ihr bewusst, dieser Mann würde ihr nie gehören.
Scheinbar lässig ließ Arkani sein rechtes Bein von seinem Mehari baumeln, während sein linkes auf dessen Hals lag. Trotz des stundenlangen Rittes hatte er nichts von seiner hoheitsvollen Haltung eingebüßt. Niemand sah ihm an, was in ihm vorging. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Arkani sich unsicher.
Er war ein Sohn der Wüste, ein Adliger, der Sohn des Amenokal. Er war ein edler Krieger, ein Amajer, seine Mutter die
Weitere Kostenlose Bücher