Im Bann des roten Mondes
sich in Größe, Art ihrer Bewegungen, leichten Farbunterschieden ihrer blauen Stoffe – und ihren Füßen. Statt anhand von Gesichtern identifizierte sie die Männer anhand ihrer Füße. Es war für sie eine völlig neue Erfahrung.
Sie musste allerdings nicht nach den Füßen schauen, um festzustellen, dass Arkani nicht mehr zwischen ihnen saß. Arkani war der körperlich größte der Wüstenkrieger.
Langsam erhob sie sich und schlenderte umher. Niemand beachtete sie, niemand hinderte sie daran. Sie war sich nun absolut sicher, dass sie keine Gefangene war und wahrscheinlich auch niemals eine gewesen war. Vielleicht hatte Arkani sie mit diesem kleinen Trick auf sich aufmerksam machen wollen? Schließlich waren diese blauen Krieger ständig bestrebt, sich vor den Frauen ins rechte Licht zu rücken, ihnen zu imponieren und besonders mutig und kämpferisch zu erscheinen.
Sie sah ihn in der Nähe eines wie ein unförmiger Zahn aus dem Wüstensand ragenden Felsens sitzen. Sein Blick war hinaus in die Wüste gerichtet, während er mit den Fingern spielerisch in den Sand malte. Sie blieb stehen, um ihn zu beobachten. Sie wollte kein Voyeur sein, aber etwas in seiner Haltung bannte sie. Seine Sandalen hatte er abgelegt, die Beine hielt er untergeschlagen und die Unterarme locker auf die Knie gelegt. Seine langgliedrigen Finger zogen Linien und Vertiefungen in den Sand mit einer Schnelligkeit, die man sonst an keinem Targui bemerkte.
»Tritt ruhig näher«, vernahm sie seine Stimme.
»Tut mir Leid, ich wollte dich nicht in deinem Gebet stören«, murmelte sie verlegen, weil er sie bemerkt hatte, ohne sie überhaupt zu sehen. Jetzt konnte sie nicht mehr zurück.
»Du störst nicht«, erwiderte er. »Ich habe nicht gebetet, ich habe meditiert.«
Sie ließ sich neben ihm nieder, nachdem sie ebenfalls ihre Sandalen abgestreift hatte. Das Unterschlagen der Beine fiel ihr immer noch schwer.
»Ich liebe es, einfach so in der Einsamkeit der Wüste zu sitzen, dem Wind zu lauschen und meine Gedanken in den Sand zu schreiben.«
Erstaunt warf Désirée einen Blick auf die Zeichen und Linien im Sand.
»Gedanken?«, fragte sie verwundert. »Du denkst schnell.«
Er lachte leise, und sie entdeckte in seinen Augen wieder dieses goldene Funkeln.
»Auf diese Weise kann man das Orakel befragen.« Er strich den Sand glatt wie eine Schultafel und begann mit seinen eleganten, gelenkigen Fingern Vertiefungen in den Sand zu drücken. Er tat das mit den Fingerspitzen und Knöcheln jeweils im Wechsel und in solch einer Geschwindigkeit, dass Désirée ihm kaum mit den Augen folgen konnte. Im gleichen Tempo strich er jede zweite wieder aus.
»Moment, Moment, das habe ich gar nicht so schnell mitbekommen«, rief Désirée.
Arkani hielt inne, strich alles wieder glatt und begann von vorn. Aber er vollführte es im gleichen Tempo. Mit offenem Mund beobachtete Désirée sein Fingerspiel. »Und was bedeutet es?«, fragte sie schließlich.
»Wenn drei übrig bleiben, ist es ein gutes Zeichen«, erwiderte er. Schnell wischte er das Orakel wieder aus. Désirée aber hatte trotzdem noch gesehen, dass vier Vertiefungen übrig geblieben waren.
»Ich glaube nicht an so etwas«, sagte sie schließlich und richtete ihren Blick wie Arkani hinaus auf den Horizont der Wüste. Die versinkende Sonne tauchte die mächtigen Wellenkämme aus Sand in ein dunkles Violett. »Ich nehme mein Leben lieber selbst in die Hand.«
»Wer weiß schon, wodurch sein Leben bestimmt wird«, entgegnete Arkani. »Die Wüste ist hart und unerbittlich. Überall kann sie dem Leben eines Menschen ein Ende bereiten. So ein Leben ist ein Nichts, wie ein Sandkorn in der Wüste. Es kann einfach verweht werden.«
»Ein Leben scheint bei euch nicht viel wert zu sein«, stellte Désirée fest. »Warum sonst betreiben die Tuareg Raubzüge, halten sich Vasallen und Sklaven?«
»Unsere Rezzous sind ehrenvolle Raubzüge«, sagte Arkani bestimmt. »Sie erfolgen nach ganz bestimmten Regeln.«
»Ehrenvoll?« Désirée schnaubte empört. »Das ist doch blanker Zynismus. Regeln hin oder her, ihr überfallt Karawanen, raubt anderen ihr Hab und Gut, was ist daran ehrenvoll?«
»Es sind die Regeln«, gab Arkani ruhig zurück. »Um einen Kampf zu beginnen, muss es ein Gleichgewicht der Kräfte geben. Wer gegen Schwächere antritt, verliert seine Ehre.«
»Und daran halten sich alle?«, fragte sie wenig überzeugt.
»Ja, denn wer möchte schon seine Ehre verlieren? Er würde von der Sippe
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