Im Bann des roten Mondes
fühle ich mich frei.«
»Du glaubst frei zu sein«, sagte Arkani leise. »Ihr habt euch angeblich von allen Fesseln gelöst, nichts bindet euch mehr. Ihr tut, was ihr wollt, wie ihr es wollt und wann ihr wollt, liebt und zerstört nach eurem Willen. Ihr habt Worte und Bilder zu euren Untertanen gemacht, hinterlasst eure Spuren auf der Erde, indem ihr sie verändert. Ihr baut hohe Häuser aus Stein, Schienen aus Stahl. Ich habe gehört, dass es Menschen gibt, die mit einer großen Kugel, gefüllt mit heißer Luft, durch den Himmel fliegen. Die Welt unter dir wird so klein, dass du sie gar nicht mehr erkennst. Ihr habt sie schon zerstört, bevor ihr sie überhaupt richtig gesehen habt. Du bist nicht frei. Du bist Gefangene eben dieses Geistes. Du verachtest das, was für ein anderes Volk die Lebensgrundlage ist, weil dein Geist dich fesselt. Bevor du diesen Geist nicht loswirst, wirst du niemals frei sein.«
Er erhob sich und ging davon. Désirée blieb allein zurück und begriff, dass es die erste Lektion war, die er ihr erteilte. Es war eine bittere Lektion über die Freiheit.
XXII
Am nächsten Morgen schien Arkani das Gespräch vergessen zu haben. Allerdings kümmerte er sich auch nicht weiter um Désirée.
Sie hatte eine unruhige Nacht gehabt. Nicht nur der Schlaf unter freiem Himmel war ungewohnt. Als sie sich eine Stelle zum Schlafen suchte, räumte sie wieder sorgfältig jeden Stein beiseite. Sie fürchtete nicht so sehr, dass er drücken könnte, sondern dass sich darunter ein Skorpion verbarg, wie es schon einmal vorgekommen war. Aber nicht einmal Skorpione schienen in diesem Teil der Wüste zu leben. So dämmerte sie in einen unruhigen Schlaf hinüber, Arkanis Worte noch im Ohr. Ihre Gedanken kreisten um diese Worte – und um ihn. Seine Arroganz, sein Hochmut, das waren in Wirklichkeit unbändiger Stolz und Freiheitswille. Und wenn diese Männer auch eitel waren und selbstgefällig, irgendwie passte es zu ihnen, und sie waren es auch wert. Was sie bislang von den Männern gesehen hatte, es war nicht allzu viel – doch forderte es ihre Bewunderung heraus. Ihre Erscheinung war einfach schön, in jeder Bewegung lagen Eleganz und Würde. Und auch ihre Frauen waren sehr schön, voller Selbstbewusstsein und Anmut. Wieder nagte ein kleines Gefühl der Eifersucht in Désirées Bauch, wenn sie nur daran dachte, dass über kurz oder lang auch Arkani eine der Schönen erwählen würde. Nein, er würde von einer der Schönen erwählt werden. Und da gab es sicher nicht wenige Interessentinnen.
Mehr als einmal in der Nacht hob sie den Kopf und schaute hinüber zu der Stelle, wo Arkani lag. Er wirkte wie ein großes, dunkles Stoffbündel, bewegungslos unter seiner Wolldecke, den Kopf auf die prächtig verzierte Satteltasche gebettet. Aber es war zu dunkel, um erkennen zu können, ob er tatsächlich schlief oder wachlag. Wahrscheinlich machte er sich deutlich weniger Gedanken um sie als sie um ihn. Und vielleicht sollte sie endlich aufhören, ständig an ihn zu denken.
Am zeitigen Morgen, nachdem die Männer die rituelle Waschung mit Sand und ihr erstes Gebet vorgenommen hatten, wurde wieder ein Feuer entfacht und Tee gekocht. Diese langwierigen Teezeremonien schienen so ziemlich das Wichtigste im Leben der Tuareg zu sein, zumindest im täglichen Leben. Doch als Désirée einen Becher des kochend heißen Getränks schlürfte, wusste sie sofort, warum das so war. Ihre Lebensgeister wurden erweckt, die Wärme kroch durch ihre Adern und löste sie aus ihrer Erstarrung. Ihre Glieder und der Rücken schmerzten mehr als am Abend zuvor. Tapfer biss sie die Zähne zusammen, um sich nichts anmerken zu lassen. Gleichberechtigt bekam sie einen Teil des Fladenbrots, etwas Ziegenkäse und getrocknete Datteln. Sie kaute darauf herum und besänftigte damit ihren knurrenden Magen.
Die Meharis wurden gesattelt und beladen, das Feuer sorgfältig gelöscht. Dann saßen alle Reiter auf, und die Reise wurde fortgesetzt.
Der Weg führte sie gegen Mittag an eine größere Felsformation. Während Désirée bis dahin auf ihrem schwankenden Dromedar mehr oder weniger dahindämmerte, verspürte sie plötzlich ein dringendes Bedürfnis. Sie schaute sich aufmerksam um.
Zwischen den Felsen tat sich eine schmale Schlucht auf. Dieser kleine Canyon kam ihr wie gerufen. Désirée lenkte ihr Mehari an die Seite Arkanis. »Könnten wir eine kleine Rast einlegen?«, bat sie.
»Es ist kein guter Platz zum Rasten«, entgegnete er. »Außerdem
Weitere Kostenlose Bücher