Im Bann des roten Mondes
Wochen der Entbehrung empfand es Désirée wie ein Festessen. Doch ihr Magen rebellierte. Er hatte sich an die Entbehrung und Kargheit des Wüstenlebens gewöhnt. Die unerwartete Völlerei behagte ihm wenig. Der Pfefferminztee verschaffte ihr etwas Linderung.
Nach dem Essen und einer Höflichkeitspause zog sie sich vom Feuer zurück und suchte sich dort einen Platz, wo auch ihr Reitsattel lag. Sie rollte die Decke auf und streckte sich aus. Nach dem Bad fühlte sie sich wie neugeboren. Ihr voller Magen verschaffte ihr nun ein angenehmes Gefühl der Trägheit. Aus gesenkten Augenlidern beobachtete sie die Männer um das Feuer. Sie unterhielten sich, tranken Tee und schienen die Welt um sich vergessen zu haben. Es schien nichts zu geben, was sie aus ihrer Gelassenheit reißen könnte. Und doch wusste sie, dass unter dem blauen tekamist , wie die Tuareg die Gandura selbst bezeichneten, leidenschaftliche Herzen schlugen. Ein wohliges Kribbeln lief über ihre Haut.
Ihre Augen suchten Arkani. Er war für sie der schönste unter den stolzen Kriegern. Jawohl, sie benutzte das Attribut schön. Arkani würde sich geschmeichelt fühlen, wenn er es wüsste. Würde er um Désirée werben, wie er es im ahâl täte, würde sie ihn erhören. Aber er warb nicht um sie. Mal behandelte er sie höflich und freundlich. Ein anderes Mal verspottete er sie. Manchmal machte er ihr Komplimente, dann wieder tat er nichts dagegen, dass sie sich selbst blamierte.
Sie schloss die Augen und versuchte sich die wundersame Begegnung im See ins Gedächtnis zurückzuholen. Sie spürte die Kühle des Wassers auf der Haut, seine Hände wie den Hauch eines Vogelflügels, das Perlen der Luftblasen und die Strömungen des Sees. Das Wasser umhüllte sie wie Seide, doch sie konnte weder sein Gesicht noch seinen Körper sehen. Alles war verschwommen, war Ahnung, halb Traum, halb Realität. Vielleicht waren es doch Geister, die ihre Sinne narrten. Aber dann war es ein wunderschönes Trugbild! Sie wollte es mit hinüber in den Schlaf nehmen.
XXVII
Die Nacht brach über die Wüste herein, plötzlich und unmittelbar. Die ersten Gestirne blinkten am Firmament. Bald würde es völlig mit den silbern funkelnden Diamanten des Alls übersät sein. Es war ein Anblick, den Désirée zu bewundern nie müde werden würde. Der Himmel über der Wüste war und blieb ein immer währendes Mysterium, so wie die Unendlichkeit selbst. Nach der qualvollen Hitze des Tages spendete der nächtliche Sternenhimmel Kraft, Ruhe, Trost.
Arkani blieb am Feuer sitzen. Nicht nur das reichhaltige Essen und der heiße Tee versetzten ihn in einen eigenartigen Zustand. Er hatte etwas erlebt, das ihm unter die Haut gegangen war. Es war nicht nur schlichtes Begehren. Er wünschte sich plötzlich, dass er auf den Schwingen der Leidenschaft getragen würde, zu Orten, zu denen er noch nie geflogen war.
Unruhe erfasste ihn. Die ersten Männer legten sich zur Ruhe. Touhami warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Geh schlafen«, sagte Arkani. »Ich möchte noch ein bisschen am Feuer sitzen bleiben.«
Später erhob er sich und ging langsam zu der Stelle hinüber, an der er Désirée wusste. Sie war in den ersten Schlaf gefallen. Er konnte ihr entspanntes Gesicht im rötlichen Schein des sterbenden Feuers erkennen. Eine Weile betrachtete er es versonnen. Dann hockte er sich neben ihr nieder, strich ihr zärtlich über die Wange und fasste nach ihrer Hand.
Erschrocken fuhr Désirée aus dem Schlaf. »Psssst!« Arkani beugte sich über sie.
Mit einem leisen Seufzer der Erleichterung ließ sie sich wieder auf die Decke sinken. Es war ein wunderbares Gefühl, dass er ihre Hand hielt. Wieder umspannte er ihr Handgelenk. »Möchtest du ein Stück mit mir spazieren gehen?«, fragte er.
»Es ist doch dunkel«, erwiderte sie, erhob sich jedoch. »Mit dir fürchte ich mich aber nicht.«
Er hielt weiter ihre Hand fest, während die Dunkelheit sie verschluckte. Désirée ließ sich führen wie eine Blinde. Sie vertraute Arkani vollkommen. Auch sie hatte plötzlich eine seltsame Unruhe erfasst. Es war fast so wie im See. Mit Arkani ganz allein ...
Er führte sie zwischen den Felsen hindurch zum See, ging ein Stück an dessen Ufer entlang und ließ sich hinter einem Felsvorsprung im weichen Sand nieder. Désirée blieb dicht neben ihm. In der Dunkelheit konnte sie das Wasser nur ahnen. Langsam ließ sie sich rückwärts sinken. Ihr Blick wanderte zum Himmel. Etwa die Hälfte des Firmaments wurde von der
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