Im Bann des roten Mondes
dunklen Felswand verdeckt, die den See umgab. Darüber leuchteten die Sterne.
Sie spürte, dass er sich dicht neben sie legte. Ihr Herz begann heftiger zu klopften.
»Spürst du, dass es ein verwunschener Ort ist?«, flüstere er.
»Ja«, flüsterte sie zurück. Sie wagte nicht laut zu sprechen. Weniger wegen der Männer im Lager. Dazu waren sie zu weit weg.
»Und du bist eine Fee«, hörte sie seine Stimme.
»Ich?«
»In den Sagen unserer Ahnen gibt es auch Legenden von Feen, die verirrte Menschen aus der Wüste retten. Diese Feen haben meist goldene Haare und helle Haut.«
Er wickelte sich eine Strähne ihres im Dunklen leicht schimmernden Haares um den Finger. Sein Gesicht war nah, und sie fühlte seinen warmen Atem. Das Blut rauschte in ihren Ohren, und sie wünschte sich, dass es nicht so dunkel wäre, damit sie seine Augen sehen könnte. Und nicht nur seine Augen, sein Gesicht, seinen Körper ...
Sie lachte leise. »Warum sollte ich eine Fee sein? Und warum sollte ich dich retten? Ist es nicht eher umgekehrt?«
»Vielleicht. In den Legenden steckt viel Weisheit. Auch ich bin nicht allwissend. Unsere Götter und Geister lenken unser Schicksal.«
»Götter?«, fragte sie erstaunt. »Ist nicht Allah euer Gott?«
»Sollte es wohl sein, wenn es nach den Imamen geht. Aber wir haben unsere eigenen Götter, die viel länger in der Wüste wohnen als die Kinder Allahs. Uns gefällt es, nicht nur einen Gott zu haben.«
Seine Hand strich sacht über ihre Wange, dann glitt sie zwischen Stoff und Haut. Sie erschauerte unter dieser Berührung und presste die Lippen zusammen. Seine Hände waren unglaublich gefühlvoll.
»Du zitterst«, flüsterte er. »Ist dir kalt?«
Sie schüttelte stumm den Kopf. Das Gefühl des alles verzehrenden Feuers in ihrem Körper war kaum zu ertragen.
»Hast du Angst?«, wollte er wissen.
Sie antwortete nicht, hielt jedoch ganz still. Sie wollte nicht, dass er aufhörte, sie zu streicheln.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er. »Wenn ein Mann eine Frau in den Armen hält, dann wird er sich immer an bestimmte Regeln halten.«
»Regeln?«, wunderte sie sich. »So wie die Regel mit dem Zelt?«
»Ja. Und es gibt keinen Mann von Ehre, der diese Regeln brechen würde. In der ersten Nacht soll er sein wie eine Mutter. In der zweiten Nacht soll er sein wie eine Schwester, und in der dritten Nacht soll er sein wie ein Mann.«
»Wird das unsere erste Nacht sein?«, fragte sie ängstlich. Sie hatte nicht Angst vor der Nacht, sie hatte Angst davor, dass er es verneinen würde.
»Möchtest du es denn?«, fragte er zurück.
»Ich habe kein Zelt, in das ich dich bitten kann«, bedauerte sie.
»Man braucht kein Zelt, um die Herzen zueinander zu bringen.« Er deutete auf den Himmel über ihnen, der mit Milliarden von Sternen übersät war. »Es ist das größte und schönste Zelt, das es auf der Welt gibt. Und wenn der rote Mond sich rundet, werden Mann und Frau eins.«
Sie schlang die Arme um seinen Nacken. »Müssen wir wirklich erst auf den Mond warten?«
»Nein«, hörte sie ihn flüstern. »Wir befinden uns bereits in seinem Bann.«
Sie spürte plötzlich seine Lippen auf ihren, ganz sacht, tastend, fast spielerisch. Er musste seinen tugulmust beiseite gezogen haben. Sie hob die Hände, um sein Gesicht zu erkunden.
Seine Wangen waren schmal und glatt. Sie legte die Handflächen daran und erschauerte, als sie die Wärme spürte. Mit den Daumen strich sie sacht über seine Augenbrauen, seine Augenlider, spürte die dichten Wimpern, die seine schönen Augen umkränzten und jetzt wie Vogelschwingen auf seinen Unterlidern lagen. Dann ertastete sie seine schmale Nase, seine Lippen, die leicht geöffnet waren. Für einen Moment nahm er die Kuppen ihrer Daumen zwischen die Lippen, eine unglaublich gefühlvolle Liebkosung. Sie stöhnte auf.
In diesem Augenblick trat der Mond über den Rand der Felswand und übergoss sie mit seinem kupfernen Schein. Das, was sie bislang nur unter ihren Händen gefühlt hatte, nahm nun sichtbare Gestalt an. Es war wie eine perfekte Inszenierung der Natur.
Arkani löste sich von ihr und erhob sich. Ihre Hände tasteten ins Leere. »Bleib hier«, bat sie flüsternd. Er blieb neben ihr stehen und verharrte einen Augenblick, dann sah sie mit Erstaunen, dass er damit begann, seinen tugulmust abzuwickeln. Er tat es langsam und bedächtig, eine seltsame Art der Enthüllung. Das rote Licht des Mondes war diffus, es ließ die Konturen verschwimmen; und doch
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