Im Bann des Vampirs: Fever Saga 1 (German Edition)
Straßenzügen keine Polizeizuständigkeit gab und die normalen Dienste der Stadtverwaltung wie Müllabfuhr oder Straßenreinigung nicht mehr stattfanden. Hieß das nicht, dass es in Dublin Straßen gab, an die sich niemand mehr erinnerte? Und wenn ja, fehlten sie dann auch in den neuen Stadtplänen?
Wenn ich mir einen Stadtplan von Dublin ansah, der, sagen wir mal, fünf Jahre alt war, würde der genauso aussehen wie der neueste?
Könnte mir die Antwort, nach der ich suchte, die ganze Zeit durchs Fenster ins Gesicht gestarrt haben?
»Bingo!« Ich stieß mit meinem roten Filzstift auf die Karte. »Da bist du ja!«
Ich hatte die LaRuhe Street gefunden und sie befand sich – wie ich vermutet hatte – mitten in dem verlassenen Viertel.
Gestern war ich, als ich die Karten gebraucht hatte, automatisch zu dem Geschäft gerannt, an dessen Auslage ich mich erinnerte. Mir war gar nicht in den Sinn gekommen, dass Barrons so was auch in seinem Laden führen könnte. Oben in der dritten Etage hatte ich eine umfangreiche Sammlung von Atlanten und Stadtplänen gefunden, ungefähr ein Dutzend ausgewählt und hinunter zu meinem Lieblingssofa geschleppt, um mit meiner Suche von vorn zu beginnen.
Was ich entdeckte, schockierte und erschreckte mich. Die dunkle Zone, die an Barrons’ Laden grenzte, war nicht der einzige vergessene Teil Dublins. Es gab noch zwei andere Bereiche, die in früheren Stadtplänen, nicht aber in den neuen verzeichnet waren. Sie waren erheblich kleiner und befanden sich am Stadtrand, aber ich zweifelte nicht daran, dass dort auch die Schatten ihr Unwesen getrieben hatten.
Wie Metastasen eines Krebsgeschwürs breiteten sich die Leben aussaugenden Unseelie aus. Mir war nicht klar, wie sie bis in die fast ländlichen Gebiete vorgedrungen waren, aber ich konnte mir ja auch nicht erklären, wie sie überhaupt in diese Stadt kommen konnten. Vielleicht hatte sie jemand unwissentlich wie eklige Kakerlaken in einer Kiste von einem Ort zum anderen transportiert. Oder … mir kam ein fürchterlicher Gedanke … oder war das die Grundlage für Barrons’ Waffenstillstand mit den Parasiten gewesen? Hatte er sie zu neuen Futterplätzen geführt und dafür die Zusage erhalten, dass er sich frei und unbehelligt in ihrem Gebiet bewegen konnte? Waren sie intelligent genug, um solche Abmachungen zu treffen und sich auch daran zu halten? Wo versteckten sich dieSchatten am Tage? An welche dunklen Plätze verkrochen sie sich? Wie klein konnten sich Wesen machen, die keine wirkliche Substanz hatten? Hatten Hunderte von ihnen in einer kleinen Streichholzschachtel Platz? Ich schüttelte den Kopf. Im Augenblick konnte ich mich nicht mit der Ausbreitung der Schatten beschäftigen. Alina hatte mir einen Hinweis hinterlassen. Endlich war ich darüber gestolpert und ich konnte an nichts anderes mehr denken als daran, das zu finden, worauf sie mich aufmerksam zu machen versucht hatte.
Ich legte zwei laminierte Stadtpläne nebeneinander vor mich auf den Tisch und betrachtete sie lange. Die rechte Karte war neu, die linke sieben Jahre alt.
Im neuen Stadtplan verlief die Collins Street einen Block entfernt parallel zur Larkspur Lane. Auf der sieben Jahre alten Karte befanden sich achtzehn Blocks zwischen den beiden Straßen.
Ich schüttelte den Kopf, zuckte gleichzeitig mit den Schultern und schnaubte – ein explosiver Ausdruck dafür, wie fassungslos ich war. Das war schrecklich. Wusste jemand davon? Waren Barrons und ich – und Gott allein wusste, was Barrons in Wahrheit war; ich hatte keinen blassen Schimmer – die Einzigen, die sich dieser Vorgänge gewahr waren? Ihre Welt ist im Begriff, in Windeseile vor die Hunde zu gehen, hatte Barrons gesagt. Als mir diese Worte wieder durch den Kopf gingen, wurde mir etwas bewusst, was mir damals nicht aufgefallen war. Er hatte gesagt »Ihre Welt«. Nicht »unsere Welt«. Meine Welt war demnach nicht die seine?
Wie üblich hatte ich eine Million Fragen, niemanden, dem ich trauen und keinen Ort, an den ich mich flüchten konnte. Mir blieb nichts anderes übrig, als vorwärts zu gehen – der Weg zurück war mir für immer versperrt.
Ich riss eine leere Seite aus meinem Tagebuch – nur noch vier Seiten waren unbeschrieben –, legte sie auf den Stadtplan und zeichnete Block für Block meine Route nach und kritzelte Straßennamen neben die Linie. Der Stadtplan war zu unhandlich zum Mitnehmen. Ich musste beide Hände frei haben. Die LaRuhe befand sich am Ende eines
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