Im Bann seiner Küsse
uns einen Plan ausdenken, wie man eurem Vater helfen könnte.«
Nach dem Frühstück schickte Tess Savannah und Katie zum Blumenpflücken hinaus. Da sie Zeit zum Nachdenken brauchte, musste sie allein sein. Sie ging über die Veranda und hörte mit halbem Ohr das Ächzen der Bretter unter ihren Füßen.
Sie ging die Stufen hinunter und weiter zur Schaukel, um sich auf dem vertrauten Sitz niederzulassen. Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und beruhigte sich mit leichten Schaukelbewegungen. Während sie dasaß, fing es an zu regnen. Kalte Tröpfchen bahnten sich den Weg durch das Laub und fielen auf ihr emporgewandtes Gesicht. Das stille, unablässige Geprassel der Regentropfen im Gras entsprach genau dem Schlag ihres Herzens.
Ein besonders großer Tropfen landete in einem Auge. Sie wischte mit dem Ärmel die Feuchtigkeit weg und blinzelte.
Da sah sie etwas Gelbes im Gras leuchten. Sie glitt von der Schaukel, traf auf dem Boden auf und kroch durch das feuchte Gras.
Die welke und zerrissene Löwenzahnkrone lag vergessen da.
Als sie sich nach den geflochtenen Blumen bückte, verschwamm das helle Gelb vor ihrem feuchten Blick. Sie drückte den Kranz an die Brust, roch den starken, vertrauten Duft von Löwenzahn, von Gras und Regen.
Sie versuchte für die Mädchen, für Caleb und Jack tapfer und stark zu sein, versuchte ihre Tränen zu schlucken und nicht mehr a n ihren Kummer zu denken, aber sie schaffte es nicht. Diesmal nicht.
Im feuchten Gras kniend, allein, ein Büschel törichter verwelkter Blumen an die Brust gedrückt, ließ Tess ihren Tränen freien Lauf. Sie weinte, bis ihre Kehle wund war und ihre Augen brannten, bis ihre Brust schmerzte und ihre Beine eiskalt waren.
Sie weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte, die sie vergießen konnte. Schniefend wischte sie sich die geröteten Augen ab, raffte sich auf und ging langsam ins Haus.
Jetzt fühlte sie sich besser. Sie war bereit zu überlegen, wie sie Jack aus dem Gefängnis holen konnte.
Hewlett-Packard
27
Als sie sich der Farm der Hannahs näherte, war Tess völlig außer Atem. Sie blieb stehen und bemühte sich, normal zu atmen, als sie auf das kleine Haus zuhielt. Regen nieselte aus den Wolken, glitt über das Spitzdach und tropfte auf die verwitterten Planken der Veranda.
Ruhig, Tess. Ganz ruhig.
Sie raffte ihren Rock hoch, als sie die Stufen hinaufging, und klopfte laut an. Man hörte scharrende Schritte im Inneren, dann wurde die Tür aufgerissen. Minerva stand im Eingang.
Sofort lächelte sie. »Ach, Lissa, was für eine angenehme Überraschung.«
Tess bemühte sich um einen gelassenen Ton. »So angenehm auch wieder nicht, Minerva.«
Minerva runzelte die Stirn. »Kommen Sie doch herein.«
»Danke.« Tess fegte in die kleine, ordentliche Küche und setzte sich an den Tisch.
Minerva ging sofort an den Herd, goss zwei Tassen Kaffee ein und stellte eine vor Tess hin. Dann setzte sie sich. »Also, was gibt es?«
Zunächst brachte Tess kein Wort heraus. Sie legte die Finger fest um das verbeulte Blechgefäß und holte tief Atem.
»Jack ...« Sie schaute weg, unfähig, etwas zu sagen.
Minerva griff über den Tisch und bedeckte ihre Hand. »Jack ...was?«
Sie schluckte schwer und schmeckte bittere, ungeweinte Tränen. »Er glaubt, er hätte die Dwyers getötet.«
Minerva war sprachlos, entzog ihr aber nicht die Hand.
»Natürlich hat er es nicht getan, aber er hat so große Angst...«
Minerva stellte ihre Kaffeetasse mit einem Klirren ab. »Wovor?«
Tess zwang sich aufzublicken. »Er hatte ein ... schlimmes Kriegserlebnis und kann es nicht vergessen. Deshalb brachte ihn das Feuerwerk so aus der Fassung. Das Geräusch ruft in ihm die Erinnerung an Dinge wach, die er lieber vergessen würde, und er wird ein wenig ... verrückt. Aber niemals könnte er jemandem etwas antun.«
Minerva sah Tess lange und nachdenklich an, so dass dieser unter dem prüfenden Blick unbehaglich zumute wurde. Plötzlich fielen ihr Jacks Worte ein: Sei nett zu ihnen. Als Tess daran dachte, dass Amarylis dieser lieben Frau sicher sehr oft unfreundlich begegnet war, zuckte sie zusammen. Bitte, halte sie mir nicht vor. Nicht jetzt. Ich brauche so dringend Freunde ...
»Nein«, sagte Minerva leise. »Ich glaube auch nicht, dass er es könnte.« Sie zwang sich zu einem trüben Lächeln. »Aber das hilft Ihnen nicht viel weiter.«
Tess seufzte. »Ich weiß gar nicht, warum ich hier bin. Vermutlich weil ich glaubte, Sie könnten mir helfen, einen Plan
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