Im Banne des schwarzen Schwertes
und stürzte ans Ufer, das Brausen steigerte sich in eine Wut, forderte sie auf näherzukommen, hieß sie mit heftiger Versuchung willkommen, bot ihnen nichts als Erfüllung - die Erfüllung des Todes.
Lamsar sagte: »Es ist nicht mein Schicksal, gänzlich zu vergehen.« Aber dann liefen sie zurück zum Wald, begleitet von dem Gefühl, daß das seltsame Meer sich die Küste herauf ergoß, um ihnen zu folgen. Sie blickten zurück und sahen, daß das Meer nicht vorgerückt war, daß die Brecher weniger heftig heranrollten, daß die See ruhiger geworden schien. Lamsar befand sich einige Schritte hinter Rackhir.
Der Rote Bogenschütze packte die Hand des alten Mannes und zog ihn auf sich zu, als habe er ihn aus einem Wasserstrudel errettet. Wie gebannt verweilten sie lange Zeit, während das Meer sie anlockte und der Wind eine kalte Liebkosung auf ihrer Haut war.
In der öden Helligkeit der fremden Küste unter einer Sonne, die keine Hitze spendete, schimmerten ihre Körper wie Sterne in der Nacht, und sie wandten sich stumm dem Wald zu.
»Sind wir nun in diesem Reich des Chaos gefangen?« fragte Rackhir schließlich. »Wenn wir jemandem begegnen, wird er uns zu schaden versuchen - wie werden wir da unsere Frage los?«
In diesem Augenblick trat eine riesige Gestalt aus dem Wald, nackt und knorrig wie der Stamm eines Baums, grün wie eine Limone, das Gesicht jedoch wirkte freundlich.
»Seid gegrüßt, ihr armen Renegaten«, sagte das Wesen.
»Wo ist das nächste Tor?« fragte Lamsar hastig.
»Ihr wärt beinahe hindurchgetreten, habt euch aber im letzten Augenblick abgewandt«, sagte der Riese lachend. »Das Meer existiert doch überhaupt nicht - es soll verhindern, daß Reisende versehentlich das Tor passieren.«
»Es existiert hier, im Reich des Chaos«, sagte Rackhir mit schwerer Zunge.
»Das könnte man sagen - doch was existiert schon im Chaos außer den Wirrnissen im Geist von Göttern, die den Verstand verloren haben?«
Rackhir hatte seinen Knochenbogen gespannt und legte nun einen Pfeil auf die Sehne, eine Handlung, von der er ahnte, daß sie hoffnungslos war.
»Schieß den Pfeil nicht ab«, sagte Lamsar leise. »Noch nicht.« Und er starrte auf den Pfeil und murmelte etwas vor sich hin.
Unbekümmert, völlig ohne Eile näherte sich der Riese.
»Es wird mir eine Freude sein, euch den Preis für eure Verbrechen abzufordern«, sagte das Wesen. »Ich bin nämlich Hionthurn der Henker. Der Tod wird euch angenehm erscheinen - euer Schicksal aber unerträglich.« Und mit ausgestreckten Krallenhänden kam er näher.
»Schieß!« krächzte Lamsar, und Rackhir hob die Bogensehne an die Wange, zog sie kraftvoll durch und ließ den Pfeil in das Herz des Riesen schwirren. »Lauf!« rief Lamsar, und trotz ihrer schlimmen Vorahnungen liefen sie wieder die Küste hinab auf das schreckliche Meer zu. Sie hörten den Riesen hinter sich ächzen, als sie den Strand erreichten, dort aber nicht ins Wasser liefen, sondern sich plötzlich in einer kahlen Bergkette wiederfanden.
»Kein sterblicher Pfeil hätte ihn aufhalten können«, sagte Rackhir. »Wie hast du ihn zu Fall gebracht?«
»Mit einem alten Zauber - dem Zauber der Gerechtigkeit, der, angewandt auf jede Waffe, den Ungerechten treffen hilft.«
»Aber warum ist Hionthurn davon verwundet worden, der doch unsterblich ist?« wollte Rackhir wissen.
»In der Welt des Chaos gibt es keine Gerechtigkeit - etwas Konstantes und Unbeugsames, wie immer es auch beschaffen sein mag, muß jedem Diener der Lords des Chaos zu schaffen machen.«
»Wir sind nun durch das Dritte Tor hindurch«, sagte Rackhir und löste die Bogensehne, »und müssen noch das vierte und das fünfte finden. Zwei Gefahren sind wir aus dem Weg gegangen, doch welche neuen Risiken lauern hier auf uns?«
»Wer kann das wissen?« fragte Lamsar, und sie wanderten über den felsigen Gebirgspaß und erreichten einen Wald, in dem es eisig war, obwohl die Sonne im Zenit stand und das dicke Laubwerk stellenweise zu durchdringen vermochte. Eine ewige Ruhe schien an diesem Ort zu herrschen. Die Männer vernahmen fremdartige Vogelrufe und sahen winzige goldene Vögel, die ihnen ebenfalls neu waren.
»Dieser Ort wirkt irgendwie zu ruhig und friedlich - das macht mich mißtrauisch«, sagte Rackhir, doch Lamsar deutete stumm nach vorn.
Rackhir erblickte ein großes Kuppelgebäude, einen Prachtbau in Marmor und blauem Mosaikgestein. Er erhob sich auf einer Lichtung mit gelbem Gras, und im Marmor spiegelten sich
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