Im Bannkreis Des Mondes
Abigail damit, jeden Tag ein Stück weit mehr in die Rolle der Herrin zu schlüpfen, die Befehle erteilte. So gab sie der Frau, die Una beim Kochen und Putzen für Talorc und seine Elitekämpfer zur Hand ging, inzwischen immer direkte Anweisung, was sie zu tun hatte.
Außerdem hielt sie weiter an ihrer ursprünglichen Idee fest, die große Halle und die anderen Räumlichkeiten des Wohnturms wohnlicher zu gestalten, damit sie nicht mehr an eine Festung erinnerten. Abigail teilte Una unmissverständlich mit, was sie herbeischaffen und verändern sollte.
Nun standen Stühle rings um die offene Feuerstelle, und auf den Tafeln gab es frische Blumen. Ein langer Plaid, der etwa vier Fuß breit war, hing hinter dem Tisch, an dem Talorc, Abigail und seine hochrangigen Krieger saßen, an der Wand. Das schwarze Sinclair-Wappen stickte sie in ihrer freien Zeit auf ein Stück blaue Seide, das sie aus England mitgebracht hatte. Dieses sollte später die Mitte des Banners zieren.
Una war gegen diese Veränderungen. Bei anderen Clanangehörigen beklagte sie sich über die frischen Blumen und den Aufwand, den es für sie bedeutete, die zusätzlichen Möbel in der großen Halle in Ordnung zu halten. Wenn sie glaubte, damit durchzukommen, machte sie sogar die Anweisungen rückgängig, die Abigail der Küchenhilfe erteilt hatte.
Wenn Abigail in dem inzwischen erblühenden Kräutergarten arbeitete, dachte sie häufig darüber nach, was sie gegen Unas Quertreiberei unternehmen konnte. Obwohl die Witwe sich ihr gegenüber so feindselig verhielt, wollte Abigail ihr nicht den Posten entziehen. Sie hoffte nach wie vor, Una werde sich irgendwann daran gewöhnen, dass Abigail nun ihre Lady war, und sich dann auch entsprechend verhalten.
Sie wusste, in dieser Hinsicht unterschied sie sich jedenfalls sehr von ihrer Mutter. Wäre Una Sybils Haushälterin gewesen, sie hätte die Frau sofort aus dem Wohnturm werfen und von den Ländereien ihres Mannes vertreiben lassen. Das stand außer Frage.
Manchmal fragte Abigail sich, ob sie Una gegenüber so viel Langmut bewies, weil sie den Gedanken nicht ertrug, wie ihre Mutter zu sein. War ihr Mitgefühl nun gut oder schlecht für den Clan? Oder wurde es als Zaudern bewertet, weil sie als Lady zu schwach war? Sorgte sie damit unbewusst für eine gewisse Instabilität?
Sie konnte nicht sagen, was richtig oder falsch war, und wünschte sich einmal mehr, Emily wäre da, um ihr einen Rat zu geben. In diesem Moment bemerkte Abigail aus dem Augenwinkel einen Tumult. Sie drehte sich um, weil sie sehen wollte, was da vor sich ging – und traute ihren Augen nicht.
Talorc und Barr gingen mit einem großen schwarzhaarigen Krieger, der einen Plaid aus dunkelblau-grün-hellgelb kariertem Stoff trug, über den Burghof. Der Mann hatte den Arm um eine Frau gelegt, die er um einiges überragte. Und diese Frau hielt ein Baby in den Armen.
Ungläubig rieb Abigail sich die Augen. Oh nein, das war keine Sinnestäuschung, denn als sie die Augen wieder öffnete, bot sich ihr dasselbe Bild. Ihr Verstand spielte ihr vielleicht manchmal einen Streich, weshalb sie dachte, die Stimme ihres Mannes zu hören. Aber was sie jetzt sah, das war real. Sie wollte so sehr, dass es wahr war, dass es fast wehtat.
Abigail stieß einen Freudenschrei aus, als sie sich endlich erlaubte, es zu glauben. Diese goldbraunen Locken, die ein vertrautes Gesicht umschmiegten, konnten nur einer gehören.
Emily!
Abigail sprang auf und eilte ihrer Schwester entgegen. Die kleine Schaufel ließ sie einfach fallen, und ihre Röcke flogen. Emily rannte ihr nun auch entgegen, ihr freudiger Gesichtsausdruck spiegelte Abigails ungezügelte Freude wider. Abigail warf die Arme um ihre Schwester und das Kind in ihren Armen.
Küsse auf ihre Wange und eine einarmige Umarmung, die so heftig ausfiel, dass sie Abigail den Atem raubte – spätestens jetzt wusste sie, dass es stimmte. Ihre Schwester war tatsächlich da. Tränen rannen den beiden Frauen übers Gesicht, und sie strahlten einander an.
»Ich habe mich schon gefragt, ob ich dich jemals wiedersehe«, brachte Abigail schließlich hervor.
»Ich wusste, Gott würde nicht so grausam sein, uns für immer zu trennen. Aber ich muss schon gestehen, ich hätte nie gedacht, dass er ausgerechnet Talorc von den Sinclairs benutzen würde, um dich zu mir zu bringen.«
Nervös huschte Abigails Blick zu ihrem Mann, weil sie wissen wollte, wie er die Worte ihrer Schwester aufnahm. Inzwischen näherten sie sich
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