Im Bett mit
hohen Wangenknochen, die mit seinem einst so vital wirkenden Äußeren kaum mehr eine Ähnlichkeit hatten.
Michael Jackson musste mit Schrecken feststellen, dass er gleichsam sein eigener Homunculus geworden war. Seine Anziehungskraft auf sein zumeist jugendliches Publikum blieb indessen, vielleicht vor allem wegen dieses bizarren »Anders-Seins«, ungebrochen. Von Michael bemerkt und womöglich in sein geheimnisvolles Neverland eingeladen zu werden, war zweifellos der Wunschtraum unzähliger »Kids«, die seinen Weg kreuzten. Unter ihnen war einer, für den die Erfüllung dieses Wunsches eine ebenso faszinierende wie verheerende Realität werden sollte. Jordie Chandler war genau die Art Junge, die auf Michael eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte. Mit seinem dunklen Haar, leuchtend braunen Augen und einem markant geschnittenen, olivbräunlichen Gesicht war er zweifellos ein bezaubernder Elfjähriger, dazu intuitiv und einfallsreich, von Ideen sprühend. Der für solche Reize überaus empfängliche Michael Jackson muss, wenn auch lange Zeit nur von Freundschaft gesprochen wurde, für den aufgeweckten Knaben so etwas wie Liebe auf den ersten Blick empfunden haben – was immer das in seinem Leben auch bedeutet haben mochte. Obwohl es noch Monate dauern sollte, bis es zu einem Besuch auf Neverland kam, hatte diese erste bewusste Begegnung auf einem Highway, auf dem Michaels Wagen eine Panne hatte, ihn doch wie ein Blitzschlag getroffen. Er ließ sich Jordies Telefonnummer geben und rief ihn während einer langen Auslandstournee beinahe täglich an, erzählte ihm von den Reaktionen auf seine Konzerte und beschrieb ihm die Vorzüge von Neverland, wohin er seinen neuen kleinen Freund gleich nach seiner Rückkehr einladen würde. Er redete mit ihm wie mit einem Gleichaltrigen, berichtete ihm von seinen Plänen und einem Wohltätigkeitsfond für benachteiligte Kinder, den er gegründet hatte. Für seine Umgebung muss es ganz offensichtlich gewesen sein: Seine Gedanken kreisten viel mehr um Jordie als um die Tournee, die ihn durch mehrere Städte Europas und des Fernen Ostens führte.
Dann endlich, im Februar des darauffolgenden Jahres, war es so weit: Der lang ersehnte Besuch auf Neverland konnte Wirklichkeit werden. June Chandler, Jordies Mutter, kam mit ihm und seiner Halbschwester Lily im Gepäck auf Neverland an. Die Besucher waren vom ersten Augenblick an überwältigt von der Pracht des Anwesens und der Großzügigkeit der Gastfreundschaft, die Michael ihnen angedeihen ließ. Er begrüßte sie als »seine neue kleine Familie«. Mutter und Tochter wurden in einem der Gästehäuser untergebracht, doch Jordie landete nach einer ausgedehnten Besichtigungstour übermüdet in Michaels Schlafzimmer, vor dessen Flügeltür zwei riesige Puppen, die kriegerische Sioux-Indianer darstellten, gleichsam Wache zu halten schienen. Was sich bei diesem und den zahlreichen folgenden Besuchen dort hinter den verschlossenen Türen abspielte, sollte in den Wochen und Monaten danach immer deutlicher in den Fokus bedenklicher Spekulationen rücken.
Über die gemeinsamen Nächte des über Dreißigjährigen mit ihrem etwa zwölfjährigen Sohn scheint Jordies Mutter anfangs wohl schockiert gewesen zu sein, doch als sie Michael darauf ansprach, versicherte er ihr: »Jordie und mich verbindet eine ganz besondere und unschuldige Freundschaft.« Kinder, sagte er, seien unschuldig, solange sie nicht von den Erwachsenen darauf »konditioniert« würden, zynisch zu sein; er liebe Jordie und alle anderen Kinder, weil sie sich gegenüber der bösartigen Welt der Erwachsenen ihre Unschuld bewahrt hätten. Es ist fraglich, ob Mrs. Chandlers Bedenken durch solche Erklärungen wirklich ausgeräumt werden konnten, doch mag das kostbare Diamantenarmband, das ihr Michael zum Dank für ihr Vertrauen geschenkt hat, wohl einiges dazu beigetragen haben.
Geschenke waren für ihn häufig ein Hilfsmittel, das er geschickt einzusetzen wusste, wo Argumente versagten. Mit June, die für seine Aufmerksamkeiten durchaus empfänglich war, hatte er da leichtes Spiel. Anders bei Jordies von dessen Mutter geschiedenem Vater Evan Chandler. Der witterte Unrat, als er Michael anlässlich eines Besuchs im Umgang mit seinem Sohn beobachtete: Die Blicke, die sich die beiden zuwarfen, verschwörerisch anmutende Halbsätze, die ein Geheimnis zwischen ihnen anzudeuten schienen, und vor allem, dass Michael gebeten hatte, in Jordies Zimmer schlafen zu dürfen, all das
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