Im Bett mit
Balkonbrüstung eines Berliner Hotels baumeln zu lassen? Oder, als die Kinder schon größer waren, sie ständig mit Karnevalsmasken oder sonstigen Gesichtsverhüllungen herumlaufen zu lassen? Immerhin – die Zeit, die er mit seinen Kindern verbrachte, hätte für Michael die glücklichste seines Lebens werden können, doch wieder kam ihm seine fatale Neigung, die Sprösslinge anderer Familien in seinen engsten Lebensbereich einzubeziehen und sie mit Geschenken und Zuneigung zu überschütten, in die Quere. Diesmal war ein krebskranker Junge aus einer einigermaßen dubiosen Latino-Familie der Stein des Anstoßes. Gavin Arvizo gelangte durch die Vermittlung eines von Michaels Bekannten zu einer Einladung nach Neverland. Michael verhielt sich ihm gegenüber so großzügig und hilfsbereit wie immer in solchen Situationen. Es schien, als habe er aus seinen trüben Erfahrungen mit Jordie nicht das Mindeste gelernt. Im Gegenteil: In einer Dokumentation des prominenten Journalisten Martin Bashir zeigt er sich Hand in Hand und zärtliche Blicke tauschend mit dem Jungen und bestätigt, dass Gavin häufig in seinem Bett schläft. Michael erklärte dazu: »Ich habe mit vielen Kindern im Bett geschlafen. Warum sollen sie ihr Bett nicht teilen? Es ist die liebevollste Sache der Welt, sein Bett mit jemandem zu teilen. Wenn Sie Bett sagen, meinen Sie etwas Sexuelles. Es wird etwas Sexuelles daraus gemacht, aber das ist es nicht. Wir schlafen nur in einem Bett zusammen, ich nehme sie zu mir ins Bett, wir hören ein bisschen Musik, dann kommt die Zeit für Geschichten, und ich lese ihnen etwas vor. Wir gehen zu Bett, wenn der Kamin noch warm ist. Ich gebe ihnen Kekse und warme Milch. Das ist sehr bezaubernd und süß, die Menschen auf der ganzen Welt sollten es so machen!« Es war sein Verhängnis, dass die Menschen der ganzen Welt diese Auffassung ganz und gar nicht teilten.
Es blieb rätselhaft, was die Familie Arvizo schließlich dazu brachte, ihre anfänglich begeisterte Dankbarkeit für alles, was Michael für die Gesundung Gavins unternommen hatte, plötzlich ins Gegenteil zu verkehren. Die ursprünglichen Beteuerungen einer unschuldigen Freundschaft mutierten zu immer gewagteren Anschuldigungen. Nun war von sexuellen Ausschweifungen die Rede, es hieß, Michael habe den Kindern Alkohol zu trinken gegeben, um sie gefügig zu machen. In einer seltsamen Perversion des katholischen Wandlungsrituals habe er diesen Wein »Jesu Blut« genannt. Wie er, der einst ein Zeuge Jehovas gewesen war, zu dieser skurrilen Bezeichnung gekommen sein soll, ist schwer erklärbar. Doch die Arvizos waren Latinos und somit wahrscheinlich katholisch, es ist also anzunehmen, dass die Geschichte von ihrer Seite lanciert wurde. Vermutlich hatten sie sich, angeregt von dem bekannten Beispiel der Chandler-Familie, darauf verständigt, dass ihre Vorwürfe gegen den auf diesem Gebiet ohnehin schwer angeschlagenen Popstar ein einträgliches Geschäft sein würden. Wie auch immer, es gelang der Anklage nicht, in einem Prozess, der sich über viele Tage hinzog und ihn wieder einmal an den Rand eines Zusammenbruchs führte, die Geschworenen von Michaels Schuld zu überzeugen. Seine letzte Bettgeschichte brachte ihn nicht, wie seine Feinde gehofft hatten, ins Gefängnis, doch sie reichte aus, um ihn und seine Karriere zu zerstören. Von seinen Kindertagen an hatte er darauf bestanden, in seiner eigenen Welt zu leben, doch nie konnte er sich der Realität außerhalb seines eigenen Selbst verständlich machen.
Genauso gut hätte er ein Alien aus einer fremden Galaxie sein können, und für viele, die seinen skurrilen Lebensweg kreuzten, war er wohl so etwas Ähnliches. Mag er auch offiziell an einem Medikamentencocktail gestorben sein, der ihm von seinem Arzt verabreicht wurde, die tiefere, weil innere Wahrheit ist wohl: Er starb an seinem Unvermögen, sich mit der Welt der Erwachsenen, die er als zynisch und zerstörerisch betrachtete, zu arrangieren. In seinem Innersten ist er Peter Pan geblieben, der Junge, der nie erwachsen wurde. Jedoch: Peter Pan ist mit ihm gestorben und die »Insel Neverland« von einem scheinbaren Kinderparadies zum Museum mutiert …
Intermezzo X
Der indiskrete Blick durchs Schlüsselloch
Der Blick durch das Schlüsselloch in die Schlafgemächer der Großen und Mächtigen, manchmal aber auch nur der Reichen und Berühmten übte immer schon eine große Anziehungskraft auf die Menschen aus. Seit sich im 17. Jahrhundert der Berufsstand
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