Im Blut vereint
im Stich ließ. Ein Mädchen, das sie nie kennengelernt hatte, das aber offenbar einen Weg eingeschlagen hatte, auf den auch Kate schon einmal einen Blick geworfen hatte. An dem Abend, bevor Imogen starb. Damals hatte sie ihre fünfzehnjährige Schwester während einer Privatparty auf der hinteren Veranda des Hauses vorgefunden, mit einem Spiegel, einer Rasierklinge und einem Häufchen weißen Pulvers. Sie hatte Imogen da rausholen wollen.
Stattdessen hatte sie sie umgebracht.
Kate erreichte die Weggabelung. In beiden Richtungen ging es bergauf. Sie wandte sich nach links. Vor ihr erhob sich der Serpentine Hill. Er war steil. Er war eine einzige Strafe. Genau das brauchte sie jetzt. Alaska lief langsamer und machte immer wieder Abstecher in den Wald, auf der Suche nach Eichhörnchen. Kate lief eisern entschlossen den kurvenreichen Pfad hinauf. Gerade als sie glaubte, sie bekäme keine Luft mehr, wurde der Anstieg flacher, und ihr Herz konnte wieder mit dem Rhythmus ihrer Beine Schritt halten.
So verbrachte sie ihr ganzes Leben. Im Eiltempo. Im Wettrennen um Erfolg.
Denn wer erfolgreich war, wurde respektiert. Den konnte niemand verletzen. Einen Erfolg konnte einem niemand wegnehmen. Seit fünfzehn Jahren war das ihr Lebensmotto. Es war das Einzige, woran sie sich festhalten konnte.
Bei LMB eröffnete sich ihr genau die Karriere, die ihr vorschwebte. Durch den Fall
TransTissue
war beruflicher Erfolg für sie in greifbare Nähe gerückt. Es wäre nicht nur naheliegend, sondern auch klug, sich ganz auf diesen Fall zu konzentrieren. Die Grundlage dafür hatte sie sich am Wochenende erarbeitet. Sie würde John Lyons eine sehr gute Analyse des Falls liefern können. Und wegen Marian MacAdam sollte sie sich keine Gedanken mehr machen. Schließlich hatte ihre Mandantin selbst angekündigt, dass sie Beweise für Lisas Drogenkonsum beschaffen würde.
Aber wie sollte eine siebzigjährige Großmutter, die immer ein behütetes Leben geführt hatte, Beweise für den illegalen Drogenkonsum eines Teenagers beschaffen?
Als Kate mit Alaska neben sich den Park verließ, hatte sie die Antwort auf diese Frage immer noch nicht gefunden. Zum Teufel damit. Sobald sie im Büro war, würde sie John Lyons ihr Memo zur Abwehr der Klage gegen
TransTissue
aushändigen. Danach würde sie Marian MacAdam anrufen. Sie würde ihr sagen, dass sie umgehend Kontakt zu den Behörden aufnehmen mussten, falls sie sich tatsächlich Sorgen um Lisa machte.
Und Randall Barrett konnte ihr gestohlen bleiben. Schließlich hatte er die Mandantin selbst zu ihr geschickt. Dann musste er auch mit den Folgen zurechtkommen.
Ihr Bürotelefon klingelte. Es war 8:55 Uhr. Kate nahm ab. Sie hatte gerade Marian MacAdam angerufen, aber es hatte sich niemand gemeldet. Vielleicht war ihre Mandantin im Bad gewesen.
»Hallo?«
»Kate, hier ist Mark.«
Mark Boynton
. Von der Abteilung für Arbeitsrecht. Kate setzte sich auf.
Er räusperte sich. »Das ist jetzt sehr kurzfristig, ich weiß, aber ich brauche jemanden, der heute bei einem Gerichtstermin assistiert. Haben Sie Zeit?«
Kates Herz machte einen Sprung. »Ja, natürlich.«
»Wunderbar. Kommen Sie so bald wie möglich in mein Büro. Ich möchte vor der Verhandlung noch ein paar Dinge besprechen.«
Kate legte auf, griff nach Aktentasche und Trenchcoat und eilte aus dem Büro.
Im Gehen musste sie an sich halten, um die Aktentasche nicht aufgeregt hin und her zu schwingen. Erst auf dem Gang fiel ihr der Anruf bei Marian MacAdam wieder ein.
Die Verhandlung verlief gut. Sehr gut sogar. Mark, den nur noch ein Jahr vom Status als Partner trennte, war zufrieden.
»Sie können ganz schön schnell denken«, sagte er bei einem Jumbosandwich in der Mittagspause.
»Das tue ich gern mal wieder für Sie«, erwiderte Kate, in der Hoffnung, dass er beeindruckt genug war, um ihr bei der Flucht aus dem Ghetto zu helfen.
Als sie kurz vor 18:00 Uhr in ihr Büro zurückkehrte, hörte sie ihre Mailbox ab und ging anschließend die E-Mails von ihrer Assistentin durch. Keine Nachricht von Marian MacAdam.
In gewisser Hinsicht war Kate erleichtert. Sie war müde; sie wollte ausnahmsweise einmal zu einer vernünftigen Zeit nach Hause kommen – bevor Alaska ihr erneut eine Pfütze auf dem Boden bescherte.
Außerdem kam es auf den einen Tag nicht an. Die Mühlen der Justiz mahlten ohnehin langsam.
Es hatte Zeit bis morgen.
7
Dienstag, 1. Mai, 2:00 Uhr
In der silberfarbenen Limousine fuhr er einmal um das lang gestreckte
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