Im Blut vereint
Opfer wurden die Gliedmaßen entfernt. Es tut mir leid.«
Carson erbleichte, und Schweiß trat ihr auf die Stirn. Ethan hielt sich bereit, um sie aufzufangen, falls sie in Ohnmacht fiel.
»Vor oder nach dem Tod?«, fragte sie schließlich gepresst.
»Das wissen wir erst nach der Autopsie. Sie beginnt in wenigen Stunden.«
Richterin Carson blinzelte. »Wie ist sie Ihrer Meinung nach umgebracht worden?«
Vorhin am Telefon hatte er sich geweigert, die Frage zu beantworten. Aber jetzt wurde ihm klar, wie unsinnig das war. Richterin Carson würde die Leiche gleich zu sehen bekommen, und sie wusste, was Petechien bedeuteten. »Wir nehmen an, dass sie stranguliert wurde, Euer Ehren.« Er wandte sich ab, bevor sie ihm weitere Fragen stellen konnte. »Bitte warten Sie hier, ich muss die Kammer aufschließen.«
»Ich komme mit«, sagte sie. Gleichzeitig mit ihr machte auch Lamond Anstalten, ihm zu folgen, sodass er Richterin Carson von hinten anrempelte. Es war fast zum Lachen. Aber nur fast.
»Es tut mir leid, Euer Ehren, aber Sie müssen sie durch die Glasscheibe hindurch identifizieren. Detective Lamond wird bei Ihnen bleiben.« Er blickte zu Lamond hinüber. Dieser stand jetzt neben der Tür, ein subtiler Hinweis darauf, dass Richterin Carson den Raum nicht verlassen sollte. Ethan wies zur Glasscheibe. »Wir rollen die Liege dort drüben hin.«
Hope Carson presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
»Das ist in Mordfällen so üblich, Euer Ehren. So vermeidet man Kontamination durch Spurenmaterial …«
»Ich weiß.« Sie wandte sich ab. »Machen Sie schon.«
Er schloss die Tür und ging zu der gesicherten Kammer, in der Mordopfer aufbewahrt wurden. Schnell fand er das entsprechende Fach und schloss auf. Die Aufseherin legte die Leiche auf die Liege und rollte sie zum Sichtfenster.
Wie oft schon hatte er diese Abläufe miterlebt? Dreißig-, vierzigmal? Er hatte die Angehörigen von Männern mit weggeschossenem Gesicht hierher begleiten müssen, von vergewaltigten und erstochenen Frauen, von erschlagenen Kindern. Es war immer schrecklich. Manchmal unfassbar.
Aber es passierte fast täglich, wenn nicht in Halifax, dann anderswo.
Und er hatte noch mindestens zwanzig solcher Jahre vor sich.
Richterin Carson hatte sich nicht bewegt. Sie schaute durch das Glas auf den Leichensack. Ihr Blick folgte den Konturen, über die Wölbung hinweg bis zu der Stelle in der Mitte, wo er plötzlich flach wurde.
Ihre Fingernägel bohrten sich in die Handflächen.
Ethan sagte laut: »Sind Sie bereit, Euer Ehren?«
Richterin Carson straffte sich und trat näher an die Scheibe heran. Über die Schulter hinweg warf sie Lamond einen warnenden Blick zu, woraufhin er an der Tür stehen blieb. Sie nickte abrupt. »Los.«
Ethan nickte der Aufseherin zu. Sie öffnete den Reißverschluss des Leichensacks, bis er das Gesicht freigab.
Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte Schweigen. Richterin Carson betrachtete das verfärbte Gesicht des Mädchens. »Das ist sie.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja.« Sie wandte sich ab.
Das war alles. Kein qualvolles Schluchzen, kein bestürzter Aufschrei angesichts der Quetschungen an Lisas Hals. Keine Bitte, den übrigen Körper sehen zu dürfen.
Ethan ließ die Aufseherin den Leichensack schließen und die Liege in den Kühlraum schieben. Dann schloss er ab und kehrte eilig in den Raum hinter der Glasscheibe zurück. Richterin Carson wartete an der Tür, und Lamond hielt sich im Hintergrund.
Der Raum war für drei Personen zu klein. Es roch förmlich nach heftigen, aber verzweifelt unterdrückten Emotionen. Aber was für Emotionen waren es? Trauer? Wut?
Oder Schuldgefühle?
Sobald Richterin Carson ihn bemerkte, ging sie in Richtung Fahrstuhl davon. Ethan hielt mit ihr Schritt, Lamond blieb ein wenig zurück. »Wir müssen herausfinden, was Lisa vor ihrem Tod gemacht hat. Dazu haben wir ein paar Fragen an Sie.«
Richterin Carson ging weiter, den Blick geradeaus. »Ich muss erst telefonieren. Die Gerichtsverhandlung, bei der ich den Vorsitz hatte, muss verschoben werden. Wir treffen uns in einer halben Stunde auf dem Revier.«
Ethan betrachtete ihr markantes Profil, die weichen Konturen ihrer Frisur. Sie erinnerte ihn an einen Panther: kämpferisch und voll Spannkraft. »Wir müssen zu Ihnen nach Hause kommen. Uns Lisas Zimmer anschauen.«
Sie schien kurz davor, Nein zu sagen, doch dann seufzte sie. »Besorgen Sie sich einen Durchsuchungsbeschluss. Ich kann Ihnen wenig sagen,
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