Im Blutkreis - Roman
können. Die schillernden Lichter einer Tankstelle tauchten
in der Nacht auf. Er setzte den Blinker, bremste ab und verließ die Autobahn.
Der Kassierer, ein Typ mit feuchter Haut in einer verdreckten Uniform, wechselte ihm zwanzig Euro in Kleingeld und zeigte ihm die Telefonzelle hinter den Kaffeeautomaten.
Nathan zögerte, sich erneut an Derenne zu wenden. Durch seine früheren Aufenthalte an den Schauplätzen von Kriegen oder Naturkatastrophen verfügte der Virologe mit Sicherheit über zuverlässige Kontakte in den Kreisen der humanitären Organisationen. Nein, es war besser, wenn er seine Informationsquellen vervielfachte und dem Forscher nicht den Namen der Organisation nannte, falls dieser auf die Idee kommen sollte, alles der Polizei zu erzählen. Er hatte eine andere Idee. Er holte ein zusammengefaltetes Stück Papier aus seinem Rucksack, steckte zwei Münzen in den Apparat und wählte eine Nummer im Ausland.
Er klingelte dreimal, dann meldete sich eine ferne weibliche Stimme.
»Hallo?«
»Doktor Willemse?«
»Am Apparat.«
»Guten Abend, entschuldigen Sie, dass ich Sie so früh anrufe. Wir sind uns vor zwei Wochen in Goma begegnet, mein Name ist Falh …«
»Nathan Falh! Ja, ich erinnere mich. Wie weit sind Sie mit Ihrem Artikel?«
»Ich komme voran. Deswegen rufe ich auch an, ich möchte Sie noch einmal um einen Gefallen bitten.«
»Wenn es in meiner Macht steht. Sagen Sie mir, worum es geht …«
Doktor Willemse war eine intelligente Frau, und die Fragen, die Nathan sich stellte, waren sehr konkret. Er konnte sich nicht erlauben, vage zu bleiben, sie würde sofort merken, dass da etwas faul war. Es gab nur eine Lösung: Er musste sie überzeugen
zu kooperieren. Die Details seiner wirklichen Ermittlungen konnte er ihr trotzdem nicht enthüllen. Er dachte über eine List nach, die ihm erlauben würde, die Hinweise zu bekommen, die ihn interessierten. Nach kurzer Überlegung begann er: »Ich brauche ziemlich brisante Informationen… Das alles wird Ihnen wahrscheinlich merkwürdig vorkommen, aber… also, bei meinen Nachforschungen in Katalé bin ich auf alte Verbrechen gestoßen, die im Lager selbst begangen worden sind, unter Beteiligung von Mitgliedern einer international angesehenen Organisation …«
»Welcher?«
»One Earth.«
»Ist das Ihr Ernst? Was ist das für eine Geschichte?«
»Lassen Sie mich Ihnen erklären…«
Phindi Willemses Schweigen war für Nathan eine Aufforderung fortzufahren.
»Ich konnte in einen unterirdischen Stollen im Camp von Katalé hinuntersteigen, der einst dazu gedient hat, die verfolgten Tutsi über die Grenze zwischen Zaire und Ruanda zu bringen. Ich habe den Beweis, dass er während der Ereignisse von 1994 benutzt worden ist, um Hutu-Flüchtlinge gefangen zu halten und zu foltern.«
»Zu foltern?«
»Medizinische Experimente sehr spezieller Art. Ich denke, die Verantwortlichen haben das Chaos des Massakers genutzt, um ihre barbarischen Verbrechen zu verschleiern.«
»Ich nehme an, Sie sind sich der Tragweite Ihrer Anschuldigungen bewusst. Wie sind Sie auf die Verbindung zu One Earth gekommen?«
»Ein Bericht zwischen den Dokumenten, die Sie mir vor meiner Abreise gegeben haben, hat mich auf die Spur gebracht.«
»Und weiter?«
»Tut mir leid, aber ich kann Ihnen meine Quellen nicht nennen. Ich versichere Ihnen jedoch, dass es sich, so grauenhaft
es sich auch anhört, um eine sehr reale Angelegenheit handelt.«
»Mir scheint, dass Sie sich von Ihrem ursprünglichen Thema entfernen …«
Sie schwieg.
»Nehmen wir einmal an, ich bin bereit, Ihnen zu helfen, was erwarten Sie von mir?«
»Ich brauche einen vollständigen Bericht über die Organisation: Entstehungsgeschichte, Struktur, Art ihrer Finanzierung, Behandlungsmethoden, die sie anwenden. Außerdem hätte ich gern genauere Informationen über ihre Aktivitäten in der Region von Goma zur Zeit des Völkermords: Organisation der Teams und, wenn möglich, Stärke und Namen des Personals vor Ort.«
»Gut … «, sagte Dr. Willemse, aber Nathan hörte Zweifel aus ihrer Stimme heraus. »Das wird nicht einfach sein, das ist eine sehr geschlossene Welt …«
»Ich verstehe Ihr Misstrauen, Doktor, aber Sie müssen mir vertrauen. Ich versichere Ihnen, dass es sehr ernst ist.«
»Ihnen vertrauen … Warum machen Sie diese Recherchen nicht selbst?«
Phindi Willemse zögerte, und sie hatte allen Grund dazu.
»Ich verfüge über keinerlei Kontakte und fürchte, dass meine Fragen die Verbrecher
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