Im Blutkreis - Roman
Höflichkeit geantwortet hatte. Er hätte sich gern entschuldigt, doch der Engländer wechselte das Thema und stieß damit die Tür zu seinen Gefühlen zu.
»Meine Arbeit hier besteht darin, mir jedes Buch vorzunehmen und eingehend zu untersuchen. Manche, die wie Ihres stark beschädigt sind, müssen lediglich restauriert werden, damit man sie lesen kann, andere enthalten Verschlüsselungen, die ich knacken muss, um den wirklichen Gehalt zutage zu fördern. Kommen Sie, ich zeige Ihnen meine Werkstatt.«
Für sein Laboratorium hatte Ashley Woods einen riesigen Keller gewählt. Im gedämpften Licht der Deckenlampen standen, durch Abstände getrennt, nebeneinander vier vorbildlich ausgerichtete Schreibtische aus Holz. Auf jedem befanden sich ein Computermonitor und eine kleine Arbeitslampe. Der Boden war mit grauem Linoleum bedeckt, und die Wände waren aus graugrünem Beton. Am Ende des Raums ließ eine Tür aus Edelstahl den Zugang zu einem Tresorraum vermuten.
Der Engländer ging zu ihr und bedeutete Nathan, sich ihm anzuschließen. Er stützte sich auf den Griff, ließ die Tür um ihre Achse kreisen und betrat die Schleuse. Er reichte Nathan einen weißen Schutzanzug und Latexhandschuhe; dann gingen sie durch eine zweite Tür und befanden sich nun in einem langen, weiß gekachelten Saal. Auf beiden Seiten des Raums breitete sich ein eindrucksvolles Sortiment von High-Tech-Geräten aus: hängende Monitore, Tastaturen, die mit gewaltigen Maschinen verbunden waren, Digitalkameras, optische und Elektronenmikroskope, Fotokammern, Ultraviolettlampen … Ein Fenster in der hinteren Wand ging auf ein kleines Labor, in dem sich Geräte aus Glas stapelten: Pipetten, Destillierkolben, Schmelztiegel, Kocher, Behälter für Kulturen, Gefrierschränke – sie dienten vermutlich für die chemischen und biologischen Analysen.
»Die meisten Geräte, die ich hier benutze, sind wissenschaftliche Spitzentechnologie, von der medizinischen Bildherstellung bis hin zu den geologischen Systemen, die benutzt werden, um die Natur der Böden und ihrer Schichten zu bestimmen. Hier haben Sie einen CT-Scanner, einen tomographischen Photonenscanner. Diese kleine Kamera erlaubt dank ihres breiten Farbspektrums, zwei unterschiedliche Schriften zu erkennen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man seltene Texte wiederfindet, die ausgelöscht wurden, damit der Träger wiederverwendet werden konnte; das ist das Prinzip des Palimpsests. Wir setzen auch Schwarzlicht ein, wie Sie es dort hinten sehen. Es bringt die Tinte zum Glänzen und Fluoreszieren.«
Mit einer raschen Bewegung seiner Finger öffnete Woods eine Vitrine, die durch einen Zahlencode verriegelt war und in der – luftdicht verschlossen in kleinen Plastikbeuteln – nebeneinander liegend alte Bücher aufbewahrt wurden. Der Bibliothekar nahm eines heraus, ging zu Nathan und reichte es ihm.
»Hier, das ist das Elias-Manuskript.«
Nathan erstarrte. Allein beim Anblick des Buchs trübte sich sein Blick. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug. Er hatte diese Seiten in der Hand gehalten, sie gehörten ihm… das war offensichtlich.
»Nur Mut … nehmen Sie es!«
Nathan nahm das Manuskript in beide Hände und strich mit den Spitzen seiner behandschuhten Finger darüber. Es war ein kleiner kompakter und schwerer Block von der Größe eines Verzeichnisses. Der Einband war im Laufe der Jahrhunderte schrumplig geworden und vollkommen abgewetzt.
»Das ist Velin, das Leder eines tot geborenen Kalbs, das gegerbt und so lange geglättet wurde, bis es dünn und geschmeidig genug war, dass die Feder ungehindert darübergleiten konnte.«
Nathan hob vorsichtig den Einbanddeckel hoch, begierig, Elias’ erste Worte zu lesen. Aber im Laufe der Zeit war das
Leder zerfressen und von Mikroorganismen tätowiert worden und hatte Stockflecken bekommen, die sich in konzentrischen bräunlichen Windungen ausbreiteten. Man konnte sogar kleine Gänge erkennen, die die Würmer in die Lederhaut gegraben hatten. Der Text war vollkommen unleserlich. Auf dem Vorsatzblatt erkannte er allerdings die Reste eines mit der Feder skizzierten Gesichts … Vermutlich das von Elias.
»Ich hatte es Ihnen gesagt, die Aufgabe ist gewaltig. Die ersten Analysen haben mir erlaubt, das Alter ziemlich genau zu bestimmen. Die Tinte, die benutzt wurde, ist eine Mischung, Ruß, dem eine fetthaltige Substanz beigemischt wurde, Gummiarabikum. Es sind auch Spuren von Honig feststellbar. Diese Technik war damals gang und
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