Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
ich im Bett läge, ewig im Bett. Das wäre vielleicht das Schönste!
(1913)
Der arme Mann
E r war ein unscheinbarer, gedrückter, zaghafter, armer Mann. Energie und Selbstbewußtsein waren nicht seine Sache. Stolz kannte er keinen. Wo hätte er Stolz haben wollen? Er war klein, unbedeutend und schwach. Die Zeitung las er mit einem Gefühl von Bewunderung. Er staunte große Herren ehrfurchtsvoll an. Alles achtete er, nur sich selber nicht. Woher hätte er Achtung vor sich selbst nehmen wollen? Von Figur war er ebenso unansehnlich und schmächtig wie von Charakter. Sein Leben bestand aus Unterwürfigkeit und Gehorsam. Der Sinn seines Lebenswandels war ein fortlaufendes, armes Sichschmiegen, Durchschlüpfen, Abfinden und Ducken. Er war und blieb arm. Zart und dünn war er und geboren zum Dienen und Nichtsbedeuten. Feig und knechtisch war er nicht. Hierunter versteht man etwas anderes. Knechtisch gesinnt ist der, der anders gesinnt sein könnte und der eigentlich verpflichtet wäre, anders gesinnt zu sein. Feig ist der, der da ganz genau weiß, daß er Mut und Tapferkeit zeigen sollte. Unser Mann hier wußte weder von Feigheit noch von Tapferkeit etwas, er wußte nur, daß er ein armer Mann sei. Es gibt Leute, die durch gemeine, feige Haltung hoch emporsteigen, während ihnen, wenn sie sich mannhaft und charakterfest aufführen würden, das Leben sauer gemacht werden könnte. Hier unser Mann dachte keinen Augenblick ans Emporsteigen und Laufbahnmachen, er trug niemals in seiner armen kleinen Seele einen solchen vermessenen Gedanken. Irgend etwas in der Welt bedeuten, war für ihn zu kühn. Er war für die Armut geschaffen und für die Niedrigkeit geboren. Ach, was für ein kläglich, armselig Liedsinge und intoniere ich hier? Bin ich der Musikant der Kläglichkeit geworden? Ihm war immer bang, und gegenüber den Dingen der Welt, die er vollkommen respektierte, kannte er nur ein fortwährendes Erzittern. Ein Bureaulist, Kanzlist und Schreiber war er, so ein dürftiges, armes, Papier in der Hand hin- und hertragendes, scheues, schüchternes, bittendes, um Erbarmen, Mitleid und Nachsicht flehendes, armes, schwaches Männchen war er. Der Name Mann paßte für ihn gar nicht. Er glich einem zarten lieben Jüngferchen in Mannsgestalt.
Blaß und abgemergelt sah er aus. Aber er sah nicht schlecht aus. Ich sah ihn einige Mal, und wie ich ihn sah, hatte ich ihn lieb, erbarmte und dauerte er mich, war er mir sympathisch. Auch redete ich ein paar Mal mit ihm. Seine Stimme klang leise und gedrückt. Es war keine rechte Stimme und von einem Klang war keine Rede. Ich habe gedrückte, scheue Wesen, sei es ein Kind, ein Mann, ein armes Frauchen, ein Hund, oder sonst ein armes Tier, ein krankes Kätzchen usw., immer geliebt. Ich habe mich von jeher solchen Wesen sogleich aufs Tiefste, Freieste und Schönste verbunden gefühlt. Stimme und Nase und Gang des Mannes waren einander ähnlich. Stets trug er einen devoten, ehrbaren, sauberen, furchtsamen, dienstbeflissenen, langen, schwarzen Rock. Der Rock war ihm wie angegossen, so als sei er schon im langen, schwarzen Rock zur Welt gekommen, um auf derselben nie zu etwas Höherem zu gelangen als dazu: sich vor ihr zu fürchten! Sein zaghafter, feiner, netter, furchtsamer Schritt bettelte und stotterte um Verzeihung für das Wagnis Gang und das Verbrechen Auftreten, denn er fürchtete stets, er stoße irgendwo an und kränke irgend jemanden. Über seine Kindheit ist mir nichts bekannt. Ob er noch lebt, weiß ich nicht. Vielleicht starb er. Du Guter, Armer, daß du in den schönsten, strahlendsten Himmel kommen mögest, daß dich Engel mit wunderbarem Gefieder umflattern. Daß dich die süßeste Liebes- und Trostmusik umtöne, und daß du selig seiest im Himmel. Selig sind ja die Armen und Schwachen. Ihnen gehört das Himmelreich! Er tat nie irgend jemand weh, trat nie irgend jemand zu nah und er fügte nie irgend jemand etwas Leides zu. Wie hätte er das je vermocht. Zum Wehtun gehört mehr Kraft, als der arme Mann besaß. Ein einziges Mal in seinem stillen, sanften Dulderleben rebellierte er, begehrte er auf und stellte er sich, wie man sagt, auf die Hinterfüße.
Er trat wegen einer erlittenen Ungerechtigkeit, die ihm zu bunt und zu dick war, vor seinen gestrengen und erhabenen Herrn Direktor und forderte seine Entlassung, welche ihm allsogleich gegeben wurde:
»Kommen Sie so? Das hätten wir Ihnen nicht zugetraut. Wissen Sie, was das ist? Wir wollen es Ihnen sagen. Das ist so und so, und
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