Im Bus ganz hinten
wäre ihm wichtig, dass ich mit ihm ging. Es schien ihm ziemlich egal
zu sein, was aus mir wurde. Er sagte: »Wenn du willst, komm mit. A ber ich werde dich nicht darum bitten.« Und dann ergänzte er: »A ber
eines ist klar, wenn du bei A ggro bleibst, werde ich nicht mehr mit dir arbeiten!« Ich hatte keine Lust, mich von ihm unter Druck setzen zu
lassen, und sagte deshalb: »Weißt du was: Geh du deinen Weg. Und ich geh meinen.« Und damit war es vorbei. Wir hörten anschließend eine
ganze Weile nichts mehr voneinander.
Sind wir nicht alle ein bisschen Shizoe?
Zum Glück gab es da noch einen anderen Menschen, dem ich wirklich vertrauen konnte. Er hieß Stefan Dippl, hatte blonde kurze Haare und
blaue A ugen. Ich kannte ihn schon sehr lange, weil er mit Nikola Hoffmann verheiratet war und deshalb wie ich die Familie gut kannte. Sein
Vater war ebenfalls Pastor, womit er natürlich gut zu den Hoffmanns passte. Stefan war ziemlich gläubig, und das fand ich super. Die meisten
Leute, mit denen ich zu tun hatte, hielten ja nicht so viel von Gott. Mit Stefan dagegen konnte ich gut über Religion sprechen – wie früher
schon mit Nikolas Bruder. Er nahm mich öfter mit in die Gemeinde am Südstern und beantwortete mir all meine Fragen zu dem Thema. Ich
fand, dass er ein richtig korrekter Typ war. Selbst für meine ständigen Psychoprobleme hatte er ein offenes Ohr. Während meine eigene
Familie nichts davon wissen wollte, versuchte er ganz ernsthaft, mir zu helfen.
Und ich brauchte auch dringend jemanden, der jetzt für mich da war, weil ich wieder öfter meine Panikattacken bekam. Ich hatte A ngst, allein
in meiner Wohnung einzuschlafen. »Kann ich heute bei dir pennen?«, fragte ich deshalb eines A bends. »Kein Problem«, antwortete Stefan
sofort. Für ihn war das gar keine Frage! Dabei ging’s auch ihm zu der Zeit nicht besonders gut: Wie ich hatte er nicht besonders viel Kohle,
und zudem hatte er sich gerade von seiner Frau Nikola getrennt. Er lebte jetzt allein in einer kleinen Wohnung, wobei Stefan allerdings das
Talent hatte, aus wenig viel zu machen: Seine 30 Quadratmeter waren richtig gemütlich eingerichtet. Und so hockten wir an diesem A bend
noch ewig lange auf seiner Couch und quatschten über Gott und die Welt.
Ein weiteres Thema, das Stefan und mich verband, war die Musik. Genau wie ich war auch er ein Rapper: Er nannte sich Shizoe. Ich sprach an
diesem A bend mit ihm über die Probleme mit meiner Mutter und auch über Bushido. »Wie wohl die Leute draußen es aufnehmen werden,
dass wir jetzt getrennte Wege gehen?«, fragte ich ihn. »A ch, mach dir darüber mal keinen Kopf. Du wirst sehen, es wird alles gut!«, meinte
er. Doch ich spürte einen großen Druck in mir – ich wollte unbedingt weiter rappen und auf keinen Fall einen Schritt in die falsche Richtung
machen. Während ich die veränderten Umstände zu erklären versuchte, bekam ich eine üble Psychoattacke. Ich dachte auf einmal, mir würde
die Decke auf den Kopf fallen. Der Raum kam mir auf einmal total eng vor. Meine Gedanken schnürten mir die Kehle zu. »Ich muss raus,
frische Luft schnappen«, keuchte ich. »Komm, lass uns vor die Tür gehen«, sagte Stefan besorgt. Wir zogen schnell unsere Jacken an und
stürmten das Treppenhaus runter. Es fühlte sich an, als wäre ich auf der Flucht. Unten angekommen, stieß ich die Haustüre auf, stellte mich
auf die Straße und holte tief Luft. In meinem Kopf drehte sich alles. »Bei Panik muss ich immer laufen«, erklärte ich. »Es ist immer so, als
würde ich vor irgendetwas wegrennen. A ber genauer erklären kann ich es dir leider auch nicht.« Shizoe nickte und lächelte verständnisvoll,
und dann fingen wir mitten in der Nacht an, durch die Stadt zu joggen. Erst schien das Gefühl sehr befreiend zu sein, aber mit der Zeit wurde
mir immer bewusster: A uch wenn ich der A ngst heute davonlief, am Ende würde sie mich doch irgendwann wieder einholen. In meinem
Nacken kroch ein komisches Gefühl hoch, das sich langsam in mir breitmachte. Es war, als würde von beiden Seiten eine unsichtbare Macht
gegen meinen Körper drücken. Ich hatte so große Paranoia, dass ich in jedem dunklen Hauseingang jemanden vermutete, der mich packen
und in die Hölle ziehen wollte. A ber da war niemand. Die Straßen waren komplett leer. Nur Shizoe und ich rannten noch herum. Zum Glück
war er dabei, das machte die Sache für mich zumindest ein bisschen erträglicher.
Nach zwanzig
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