Im Bus ganz hinten
Teil. Egal, ob es warm oder kalt war – ich zog sie an. Der US-Rapper Xzibit trug genau dieselbe Jacke in dem Video zu seinem Song »Paparazzi«. Das machte sie natürlich noch cooler. Als ich eines Abends vom Essen wieder in mein Zimmer kam, waren all meine Sachen durchwühlt. Die Schränke standen offen, Pullover und Hosen lagen auf dem Boden. Als ich das sah, bekam ich ein mulmiges Gefühl und sah panisch nach, ob mir irgendwas geklaut worden war. Alles war noch da. Nur eine Sache fehlte: meine geile Helly-Hansen-Jacke. Ich wurde so wütend, dass ich dreimal gegen die Tür schlug und dann raus auf den Gang stürmte. Dort erzählte ich ein paar Leuten, was passiert war, und quetschte sie aus, ob sie einen Verdacht hatten, wer der Täter sein könnte.
»Das wissen wir nicht«, sagten sie eingeschüchtert. Und scheinheilig. Mir schien, als wüssten sie ganz genau, wo meine Jacke steckte. Und ein paar Stunden später fand ich es auch heraus: Der Heimälteste, Kai, hatte sich das Teil geklaut. Vor ihm hatten alle großen Respekt. Keiner traute sich, ihn zu verpfeifen. Als ich ihn am nächsten Tag mit meiner Jacke grinsend über den Hof schlendern sah, wäre ich beinah ausgerastet vor Wut. Ich hätte ihn am liebsten in kleine Stücke gerissen und Gulasch aus ihm gekocht. Aber ich versuchte mich zu beherrschen. Anstatt ihn zu verprügeln, stellte ich mich einfach vor ihn und starrte ihn an. Ich schaute ihm ganz tief in die Augen. Und was machte er? Er lächelte mir zufrieden ins Gesicht und ging weg. Plötzlich tat mir der Typ irgendwie leid. Dieser arme Bastard hatte anscheinend so wenig vom Leben, dass er ernsthaft einen Kick daraus zog, mir die Jacke zu klauen. Wenn ihn das tatsächlich glücklich machte – dann sollte er sie meinetwegen behalten. Petzen gehen oder ihn bei der Polizei anzeigen kam für mich sowieso nicht infrage. Ich ging zurück in mein Zimmer und schlug die Tür hinter mir zu.
Von da an hatte ich keinen Bock mehr, mich irgendwie im Heim zu integrieren. Ich hatte keine Lust auf die beschissenen Spieleabende und die verlogen harmonischen Ausflüge. Der eine hatte meine Jacke geklaut, und der Rest hatte vor ihm gekuscht und das Maul gehalten. Meine Isolation stimmte mich zwar traurig, aber lieber machte ich mein eigenes Ding, als mit diesen Opfern abzuhängen.
Im Grunde nutzte ich das Heim nur, um nachts dort zu schlafen. Tagsüber hing ich draußen ab, und wenn ich mal in meinem Zimmer war, dann hörte ich Hip-Hop – und dazu brauchte ich keine Gesellschaft. Mein Lieblingssong war »Brooklyn Zoo« von Ol’ Dirty Bastard. Ich wollte genau wissen, wovon er rappte. Ich fand es total faszinierend, wie er die Worte aneinanderreihte und reimte. Ich hörte mir das Lied immer und immer wieder an. Es klang wie der Soundtrack zu meinem Leben, wenn er rappte: »I’m the one man army«. Ich fühlte die Lyrics so sehr, dass ich irgendwann begann, die Zeilen mitzurappen. Dabei dachte ich an meine Mutter. In mir drin steckte eine tiefe Enttäuschung darüber, dass sie mich einfach so ins Kinderheim abgeschoben, dass sie mich allein gelassen und unfreiwillig zu einer One Man Army gemacht hatte.
Ich war ein einsamer Krieger. Aber einer, der sich nicht sicher war, ob er aufgeben oder weiterkämpfen sollte …
Neues Ich
Ich entschied mich, Patrick Losensky sterben zu lassen. Zumindest hatte ich das Gefühl, dass es nicht mehr so weitergehen konnte mit ihm.
Ich war in einer Sackgasse angelangt. All die Scheiße, die ich erlebt hatte, hatte mich fast aufgefressen. Ich hatte mich selbst verloren und vermisste mich nicht einmal. Ich wollte einfach nichts mehr von meinem alten Ich wissen: meinen Ängsten, den Panikattacken und der Wut, wenn ich an meine Mutter dachte. Ich wollte all das endlich hinter mir lassen. Das war’s jetzt! Ich wollte Abschied nehmen vom alten Patrick und inszenierte sogar eine symbolische Beerdigung. Dazu nahm ich ein altes Foto von mir und meinen Eltern in die Hand und starrte es einige Minuten lang an. Das Bild stammte aus der Zeit, als mein Vater noch bei uns gewohnt hatte. Ich erinnerte mich noch einmal an alles, was passiert war. Wie in einem Film zog mein ganzes Leben im Schnelldurchlauf an mir vorbei: Ich sah meinen Vater in seinen Cowboystiefeln mit einer Bierflasche in der Hand, meine motzende Mutter im Wohnzimmer, die dunklen Gänge der Klapse, schließlich meine Einlieferung ins Heim. Die Bilder taten so weh in meinem Kopf, dass ich es fast nicht ertragen konnte. Deshalb nahm
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