Im Bus ganz hinten
ich ein Feuerzeug und zündete das Foto in meiner Hand an. Ich zitterte. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Mein Herz brannte – so wie das Stück Papier in meiner Hand. Erst als die Flammen anfingen, an meinen Fingern zu lecken, warf ich das Foto in die Kloschüssel, und in dem Moment zerfiel es zu schwarzer Asche. Als ich schließlich die Spülung zog, fühlte ich mit einem Mal nichts mehr. Gar nichts. Patrick Losensky war tot.
Und das war gut so. Es war sogar meine letzte Rettung: Manchmal muss man loslassen, was man ist, um zu werden, was man sein will. Kaum hatte ich mich selbst innerlich beerdigt, empfand ich plötzlich ein unbändiges Gefühl von Stärke – ich hatte nun nichts mehr zu verlieren. Und plötzlich wollte ich zurück ins Leben. Ich verspürte auf einmal wieder den Drang zu kämpfen. Und irgendwann, da war ich mir sicher, würde schon auch mein Lachen wieder zurückkehren.
Im zweiten Halbjahr der 7. Klasse ließ ich mich auf eine neue Schule in der Nähe des Heims versetzen – die Beuckeschule in Zehlendorf. Hier kannte mich niemand. Keiner von meinen Schulkameraden wusste über meine Geschichte Bescheid. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass ich den ganzen Scheiß nun endlich würde hinter mir lassen können. Wie befreiend! Ich atmete auf, fühlte mich wie neu und unverbraucht und hatte wieder Bock aufs Leben. Und so positiv, wie ich zu dieser Zeit drauf war, dauerte es auch nicht lange, bis ich an der neuen Schule Freunde fand. Sie hießen Philip und Jo und gingen mit mir in dieselbe Klasse. Beide waren richtig gute Sprüher. Philip nannte sich Skim – als Mitglied der bekannten Graffiti-Gang QBhatte er sich in der Szene bereits einen Namen gemacht. Ich fand ihn gleich am ersten Schultag cool – und da der Platz neben ihm noch frei war, setzte ich mich einfach da hin. Leider stimmte die Chemie zwischen uns nicht so ganz. Das heißt, sie war zumindest nicht ganz ausgeglichen: Ich mochte ihn, aber er wollte mir unbedingt zeigen, wer in der Klasse der Coolste war – nämlich er. Skim sah fast aus wie ein Albino. Seine Haut und seine Haare waren schneeweiß. Der Typ leuchtete wahrscheinlich sogar im Dunkeln. Dazu war er ein echter Riese und schon damals mindestens 1,90 Meter groß. Ich war total versessen darauf, von ihm zu lernen. Ich wollte ein Sprüher sein, das war mein Traum, und deshalb kam ich jeden Tag total euphorisch zur Schule und schnappte alles auf, was Skim über die Szene zu erzählen hatte. Ich löcherte ihn mit Fragen: »Wie malt man richtig?«, »Was brauche ich dafür?«, »Wo gehe ich am besten hin?« Seine Reaktion war nicht so begeistert.
»Nerv mich doch nicht immer so!«, schnauzte er mich an.
»Wieso? Lass uns doch einfach mal zusammen losziehen«, schlug ich vor. Seine Antwort war wie immer ziemlich nüchtern.
»Mal sehen.« Und das hieß vermutlich so viel wie: »Verpiss dich endlich, und lass mich in Ruhe!«
Im Unterricht zeichnete Philip andauernd seinen Sprühernamen in seine Schulbücher. Anstatt dem Lehrer zuzuhören, guckte ich ihm lieber beim Malen zu und wurde entsprechend ermahnt.
»Patrick, pass auf!«, hieß es ständig, aber das war mir scheißegal. Meine Gedanken kreisten nur noch um das eine Thema: Ich brauchte unbedingt einen Sprühernamen. Einen, der richtig cool war. Schließlich sollte er mich repräsentieren: Finden die Leute deinen Namen geil, stehen sie automatisch auch auf dich. Über den Namen bekommt man den ersten Respekt. Außerdem war es natürlich wichtig, dass ich ihn schnell würde schreiben können. Wenn man sein Tag irgendwo hinsprühen will, dann hat man ja schließlich nicht ewig Zeit. Mein alter Name Dial gefiel mir nicht mehr, und außerdem wollte ich ja einen kompletten Neuanfang wagen.
Also kritzelte ich in der Deutschstunde die ganze Zeit auf meinem Block herum. Ich war auf der Suche nach meiner neuen Identität. Aber mir fiel einfach nichts ein. Verdammt! Es ging um mein neues Ich, und dementsprechend fühlte sich die Sache auch so wichtig an wie eine richtige Geburt. Meine erste Wiedergeburt. Grübel. Grübel. Ich brauchte etwas mit mehr Flair.
»Fler!«, schrie ich plötzlich laut auf. Der Lehrer guckte mich erschrocken an. Der Rest der Klasse sowieso. Ich entschuldigte mich kurz und begann dann alles rund um mich herum auszublenden.
Aufgeregt malte ich das Wort auf meinen Block. Vom Fzum Lzum Ezum R. Es ging schnell, der Name floss wie Öl über das Papier. Sonst starrte ICHimmer auf Skims Blatt. In diesem Moment
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