Im Bus ganz hinten
nicht extra gemacht«, stammelte ich.
»Ach, komm schon. Gib es doch zu«, meinte sie bloß. Die Psychotante empfand meine Aktion offenbar als pure Provokation. Dabei waren es doch nur die Medikamente, die mich völlig aus der Bahn geworfen hatten. Ich erklärte ihr die ganze Story und entschuldigte mich inständig für die Scheiß-Aktion im Treppenhaus. Als die Medikamente etwas nachließen, war mir die Sache auch unendlich peinlich. Am Ende glaubte mir die Psychologin und legte sogar ein gutes Wort für mich bei ihrem Hausmeister ein.
Die Beichte
Zweimal pro Woche ging ich von da an wieder in die Therapiestunde zu Frau Dr. Uhlmann-Lubich. In ihrer sanft esoterischen Praxis fühlte ich mich wohl. Es roch nach Räucherstäbchen, es gab Kekse, und wir plauderten entspannt vor uns hin. Ich kannte sie ja, seit ich sieben Jahre alt war, und vertraute ihr deshalb vollkommen. Ich verriet ihr alles, was durch meinen Kopf ging. Egal, wie radikal und durchgeknallt es auch war, sie war niemals geschockt. Ich konnte ihr einfach alles sagen – und sollte das auch, denn schließlich war das ja der Sinn der Therapie.
Die Uhlmann-Lubich sah mich immer an, als würde sie mich verstehen. Zumindest schien sie es ganz ernsthaft zu versuchen, und das allein schon fand ich cool. Ich erzählte ihr von den Leuten, die so schlecht über mich redeten, seitdem ich aus der Klapse zurück war, und plötzlich schossen mir dabei die Tränen in die Augen. All die Wut, der Ärger und der Frust der letzten Wochen brachen in diesem Moment aus mir heraus. Das war kurz sehr befreiend – nur dass mir im nächsten Moment dann total schlecht wurde. Alles drehte sich. Es war, als würde ich auf einmal in einem Vogelkäfig sitzen, der im Sturm hin und her schlug. Ich fühlte mich eingesperrt und wollte nur noch raus. Ich fing an zu schreien. Immer lauter und lauter. Ich war einfach total verzweifelt. Ich hatte wieder eine meiner Panikattacken, und zum ersten Mal bekam die Therapeutin das Ganze hautnah mit. Sie versuchte mich zu beruhigen: »Es ist doch alles in Ordnung. Komm, wir reden weiter.« Ich atmete tief durch, bis das Gefühl tatsächlich verschwand und ich mich allmählich wieder auf das Gespräch konzentrieren konnte.
In der nächsten Therapiestunde erzählte ich der Uhlmann-Lubich dann ganz offen, wie es in mir drinnen aussah. Ich erklärte ihr, wie enttäuscht ich von meinem Leben war.
»Meine Mutter ist nie für mich da. Ich bin ein Stück Scheiße und kann einfach gar nichts. Niemand hat mich je für irgendwas gelobt. Nie ist jemand auch nur annähernd stolz auf mich gewesen.« Ich beichtete ihr, dass ich manchmal sogar das Gefühl hatte, dass ich selbst die Beziehung zu meiner Mutter zerstört hätte, weil ich so dermaßen unkontrollierbar und rotzfrech war. Ich erzählte, wie unfassbar traurig ich es fand, dass ich meinen leiblichen Vater nie richtig kennenlernen durfte. Und wie sehr es mich innerlich auffraß, dass ich keine richtige Familie hatte. Ich fühlte mich wie ein kleiner Junge, ganz allein in einer beschissenen Welt. Ohne Liebe. Ich war einsam und verlassen. Ja, so fühlte ich mich. Noch nie hatte ich das alles so offen ausgesprochen. Es fühlte sich an wie eine Beichte, eine Beichte vor mir selbst. Es dauerte nicht lange, bis die nächste Panikattacke aus mir herausbrach: Ich schrie, mir wurde schlecht. Das alte Spiel.
»Was ist nur los mit mir? Wann werde ich diese Psychoanfälle endlich wieder unter Kontrolle bekommen?«, fragte ich sie. Doch selbst die Uhlmann-Lubich, die mich schon mein Leben lang kannte, wusste keine konkrete Antwort. Sie legte mir aber eine Sache ans Herz: »Mach dich auf die Suche nach deinem leiblichen Vater. Vielleicht löst sich dein innerer Konflikt für immer auf, wenn du ihn triffst.« Nur, wie zur Hölle sollte ich das tun? Mit meinem Vater hatte ich das letzte Mal Kontakt gehabt, als ich vier gewesen war. Alles drehte sich um mich herum. Mit letzter Kraft griff ich nach meiner Jacke und lief davon. Die Uhlmann-Lubich rief mir noch irgendetwas hinterher, aber ich hörte nicht mehr zu.
Ich stand auf der Straße im Regen und war kurz davor, mich aufzugeben.
4. Abgeschoben
Heimkind!
Panik, Panik, Panik. Seit mehr als einem halben Jahr war ich aus der Klapse zurück und hatte noch immer keine Ruhe vor den Geistern in meinem Kopf. Ich konnte gar nicht mehr schlafen und sah dementsprechend aus wie ein Zombie. Keiner wusste, wie es mit mir weitergehen sollte. Schon gar nicht meine Mutter und
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